Autocomplete – Autotakedown?

„Okay, Google, lass uns mal ganz grundsätzlich über unser Verhältnis reden“, twittert Sascha Lobo dem Suchmaschinengiganten nach dem Urteil des BGH vom 14. Mai 2013 entgegen. Das Urteil hatte die Autocomplete-Funktion von Googles Website zum Gegenstand. Was steckt dahinter? Zunächst: Google speichert Suchanfragen ab und weiß daher, welche Suchbegriffe häufig angefragt werden. Seit 2009 lässt das Unternehmen seine Nutzer an diesem Wissen teilhaben. Die Eingaben der Nutzer werden durch Suchvorschläge (sogenannte „predictions“) ergänzt. Die Vorschläge basieren im Wesentlichen auf früheren Eingaben anderer Nutzer. Was viele gesucht haben, ist möglicherweise auch für andere relevant. In gewisser Weise wird damit nachvollziehbar, was die Allgemeinheit wirklich interessiert.

Was ist bisher passiert?

Ein Unternehmer hatte Google verklagt, weil es Nutzern, die den Namen des Klägers in ihre Suchmaske eingaben, als Ergänzungen „Betrug“ und „Scientology“ vorgeschlagen hatte. Dadurch sah er sich in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt. In erster und zweiter Instanz wurde seine Klage abgewiesen. Der Unternehmer ging in Revision. Der BGH urteilte nun, dass die automatische Vervollständigung im konkreten Fall die Persönlichkeitsrechte des Klägers verletzen könne und er dann gegen Google einen Anspruch auf Unterlassung habe (§§ 823 Abs. 1, 1004 BGB in Verbindung mit Art. 1, 2 GG). Unter Umständen stehe ihm auch ein Anspruch auf Schadenersatz zu – darüber muss jetzt wieder das OLG Köln entscheiden.

Worin besteht das rechtliche Problem?

Der Kläger hatte geltend gemacht, dass Google unwahre Aussagen verbreite, die seine Persönlichkeitsrechte verletzten. Das Gericht musste darum zunächst klären, ob die „predictions“ überhaupt eine Aussage darstellen. Dagegen spricht vor allem, dass die Vorschläge weitestgehend auf der  automatisierten Auswertung technischer Daten beruhen, die bei vorherigen Suchanfragen erhoben wurden. Die „Zauberformel“, welche die Vorschläge generiert, also der Algorithmus von Google, bezieht aber auch andere Faktoren mit ein. So können unter anderem die Anzahl der Suchtreffer oder Ort und Zeitpunkt der Suche von Bedeutung sein. Zudem ist bekannt, dass Google gewisse Begriffe von der Autocomplete-Funktion ausschließt und sich somit quasi selbst Schweigen verordnet. Dennoch gilt im Großen und Ganzen: Die Vorschläge zeigen an, was zuvor oft gesucht wurde. Und deswegen kann aus einem Vorschlag auch nicht mehr abgeleitet werden, als dass viele Nutzer danach gesucht haben. Die Vorinstanzen und viele Experten haben daher mit gutem Grund vertreten, dass in den Vorschlägen kein Aussagegehalt liege. Damit wären sie auch nicht rechtswidrig.

Der Volltext der Entscheidung liegt noch nicht vor – viele Fragen bleiben darum vorerst ungeklärt. Laut Presseerklärung des BGH kommt den Google-Vorschlägen aber tatsächlich ein „fassbarer Aussagegehalt“ zu. Zwischen den negativ konnotierten Begriffen und der Person würde ein „sachlicher Zusammenhang“ hergestellt. Das wirkt umso befremdlicher, wenn man sich vor Augen hält, dass die Vorschläge auf alten Suchanfragen basieren, die nicht einmal Meinungen sind. Sondern zumeist nur Ausfluss der eigenen Gedanken. Laut BGH haben nun die Gedanken der einzelnen Nutzer, wenn sie zusammen genommen werden, einen Aussagegehalt.

Dieser Aussagegehalt der „predicitions“ wird dem Unternehmen zugerechnet, da Google selbst die Eingaben auswertet und die Vorschläge verbreitet. Ist dieser Gehalt unwahr, kann es zu einer Beeinträchtigung von Persönlichkeitsrechten kommen. Zur Klärung, ob die Aussage unwahr ist, hat der BGH das Urteil an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Dieses hat nun zu klären, inwiefern die Aussagen falsch oder richtig sind. Besonders spannend wird dabei wohl sein, wie weit der sachliche Zusammenhang in der Praxis gefasst wird, also, ab wann eine Aussage noch richtig und ab wann schon als falsch einzuordnen ist.

Die Entscheidung des BGH, in den Vorschlägen einen Aussagegehalt zu erkennen, wird unterschiedlich aufgenommen. Einige stehen  dem Urteil aus oben genannten Gründen kritisch gegenüber. Andere nehmen das Urteil positiv auf. Dabei berufen sie sich unter anderem auf die unerträglichen Ergebnisse, die entstünden, wenn Google nicht verantwortlich gemacht werden könne.

Die Interessenabwägung

Halten wir uns also vor Augen: Der BGH nimmt an, dass die Suchvorschläge das Persönlichkeitsrecht des Klägers verletzen würden, wenn sie unwahr wären. Weil die Persönlichkeitsrechte im konkreten Fall schwerer wiegen würden als die Interessen von Google, wäre der Eingriff rechtswidrig. Bei der Beurteilung, ob eine Aussage von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, ist immer der gesamte Kontext des Einzelfalls zu würdigen. Der Kläger scheint sich im konkreten Fall darauf berufen zu haben, dass kein Zusammenhang zwischen den Suchvorschlägen und den generierten Suchergebnissen bestanden habe. Noch ist unklar, welche Rolle dieser Vortrag im Verfahren gespielt hat. In der Presseerklärung des BGH wird er jedenfalls nicht aufgegriffen. Für die Bedeutung des Urteils auf andere Fälle könnte er aber möglicherweise eine wichtige Rolle spielen. Ein weiterer spannender Punkt, über den wohl diskutiert werden kann, sobald das Urteil veröffentlicht wird.

Wofür haftet Google genau?

Der BGH macht Google nicht zum Vorwurf, dass es Suchergänzungen vorschlägt. Sondern vielmehr lediglich, dass keine Vorkehrungen getroffen wurden, um Rechtsverletzungen zu verhindern. Damit orientiert sich das Gericht an den Grundsätzen der Störerhaftung: Eine Pflicht zur Prüfung, ob durch die Funktion Rechte verletzt werden, besteht erst ab Kenntnis von der möglichen Rechtsverletzung. Es handelt sich also um ein gebräuchliches Notice-and-Takedown-Verfahren.

Und wie geht es jetzt weiter?

Auf den ersten Blick mag die BGH-Entscheidung sinnvoll erscheinen. Allerdings verführt der BGH gewinnorientierte Anbieter dazu, nach der Maxime „Alles raus, was Ärger macht!“ zu handeln. Zu prüfen, ob ein Vorschlag mit dem Recht in Einklang steht, ist aufwendig. Es kostet Suchmaschinen Zeit und Geld. Gerade weil Google nicht als Schlichter zwischen Parteien agiert, sondern selbst die Wahrheit einer Aussage beweisen muss, kann das einen sehr hohen Aufwand nach sich ziehen. Da liegt es nahe, dass Google es sich im Zweifel leicht machen wird. In Zukunft könnten bei Beschwerden die betreffenden Begriffe automatisch aus dem Algorithmus gelöscht werden. Für die Informationsfreiheit wäre dies nicht gerade ein Gewinn.

Allerdings wird man auf die Veröffentlichung der Entscheidung im Volltext warten müssen, um beurteilen zu können, wie verallgemeinerungsfähig das Urteil ist. Erst dann wird abzusehen sein, welche Auswirkungen es auf sinnvolle Ergänzungsvorschläge im Allgemeinen haben wird. Auch die Klage von Bettina Wulff gegen Google in einem ganz ähnlich gelagerten Fall, hat das zuständige Gericht zunächst ausgesetzt, um die Entscheidung des BGH berücksichtigen zu können.

Der Fall wird also weiterhin für Gesprächsstoff sorgen. (M. Se.)

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