Ein Filesharingabmahngesetz (FiShAG) könnte (trotz des sperrigen Namens) für reichlich Klarheit sorgen. Doch bis dahin liegt es an den Gerichten, mit Hilfe der bestehenden Gesetze ein faires Regelungssystem schaffen. Nicht selten kommt es dabei zu unterschiedlichen Ansichten, was wiederum für große rechtliche Unsicherheit sorgt. Mit seiner jetzt veröffentlichten sog. Afterlife-Entscheidung hat sich der BGH mal wieder in die Debatte eingeschaltet und ein paar Divergenzen beigelegt, für die er vorher selbst gesorgt hatte.
Sachverhalt
Einem Familienvater wurde vorgeworfen, dass über seinen Internetanschluss der Film „Resident Evil: Afterlife 3D“ anderen Tauschbörsennutzern zur Verfügung gestellt wurde. Auf die Abmahnung gab der Mann zwar eine Unterlassungserklärung ab, er weigerte sich jedoch, die Abmahnkosten zu erstatten sowie Schadensersatz zu leisten. Zur Tatzeit sei er nicht zuhause gewesen. Außerdem würde seine Ehefrau den Internetanschluss über einen eigenen Computer selbstständig mitbenutzen – sie bestreitet allerdings ebenfalls die Tat. im Übrigen hätte der von ihm verwendete Router damals eine massive Sicherheitslücke aufgewiesen. Die klagende Rechteinhaberin hingegen sieht ihn jedoch als Täter der Verletzungshandlung an und verlangt deshalb Zahlung.
Tatsächliche Vermutung der Täterschaft
Die Klägerin beruft sich für ihren Schadensersatzanspruch auf § 97 Abs. 2 S. 1 UrhG i.V.m. § 94 Abs. 1 S. 1 UrhG. Als Anspruchstellerin muss sie darlegen, dass die Voraussetzungen ihres geltend gemachten Anspruchs vorliegen. Sie muss also nachweisen, dass der abgemahnte Ehemann die behauptete Urheberrechtsverletzung auch begangen hat.
Dazu behauptet die Klägerin schlicht, es gebe eine tatsächliche Vermutung dafür, dass der Inhaber eines Internetanschlusses auch der Täter der darüber begangenen Rechtsverletzung ist. Dieser pauschalen Annahme widerspricht der BGH jedoch (erneut) deutlich: Eine solche tatsächliche Vermutung gelte wenn überhaupt nur, „wenn zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung keine anderen Personen diesen Internetanschluss benutzen konnten“ (Rn. 14).
Da die Klägerin jedoch nicht die Geschehnisse im Haushalt kenne, treffe an dieser Stelle den Anschlussinhaber eine sog. sekundäre Darlegungslast. Dabei handelt es sich ausdrücklich nicht um eine vollständige Umkehr der Beweislast. Genauso wenig muss der Anschlussinhaber nun „dem Anspruchsteller alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen […] verschaffen“ (Rn. 15, 20). Das entspricht alles noch der bisherigen Rechtsprechung des BGH – nichts Neues also! Was vom Anschlussinhaber aber nun konkret alles verlangt werden kann, war bisher recht unklar.
Die sekundäre Darlegungslast
In der BearShare-Entscheidung des BGH hieß es bei Rn. 18 lediglich: „Der Anschlussinhaber genügt seiner sekundären Darlegungslast dadurch, dass er vorträgt, ob andere Personen und gegebenenfalls welche anderen Personen selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen. […] In diesem Umfang ist der Anschlussinhaber im Rahmen des Zumutbaren auch zu Nachforschungen verpflichtet.“ Ergänzt wurde bei Rn. 42 der Tauschbörse III-Entscheidung, dass der Anschlussinhaber auch verpflichtet ist, seine gewonnenen Kenntnisse über die Umstände einer eventuellen Verletzungshandlung mitzuteilen. Außerdem reiche „die pauschale Behauptung der bloß theoretischen Möglichkeit des Zugriffs von im Haushalt des Beklagten lebenden Dritten auf seinen Internetanschluss nicht“ aus. Genauere Vorgaben fehlten.
Diese Aussagen wurden von den Gerichten sehr unterschiedlich interpretiert. Das OLG Köln hat in einer Entscheidung bspw. „konkrete Schilderungen zum tatsächlichen Nutzungsverhalten des (angeblichen) Ehepartners“ verlangt. Hingegen reichte dem AG Bochum bereits der bloße Vortrag, dass neben der Anschlussinhaberin auch ihre Kinder sowie ihr Ehemann den Internetanschluss nutzten.
Neues zur Reichweite der sekundären Darlegungslast
Nun hat der BGH sich also erneut dazu äußern müssen. Zu beachten sei zunächst, dass der Verletzte „erst [durch] die Kenntnis von den Umständen der Anschlussnutzung durch den Anschlussinhaber“ seine Rechte wirklich wahrnehmen könne. Die (urheberrechtliche) Position des Rechteinhabers sei dabei über Art. 17 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta und Art. 14 Abs. 1 GG geschützt. Dies müsse berücksichtigt werden, wenn man die Reichweite der sekundären Darlegungslast bestimmen wolle (Rn. 22).
Der Anschlussinhaber jedoch könne sich (unter Umständen) auf Art. 7 EU-Grundrechtecharta und Art. 6 Abs. 1 GG berufen. Sie schützten „das ungestörte eheliche und familiäre Zusammenleben vor staatlichen Beeinträchtigungen“. Deren Schutzbereich sei dann betroffen, wenn „dem Anschlussinhaber […] Auskünfte abverlangt [werden], die das Verhalten seines Ehegatten oder seiner Kinder betreffen und diese dem Risiko einer zivil- oder strafrechtlichen Inanspruchnahme aussetzen“ (Rn. 23). Beide Grundrechtspositionen seien deshalb im hier zu entscheidenden Fall im Wege der praktischen Konkordanz in einen schonenden Ausgleich zu bringen.
Im Ergebnis genügt dem BGH der Vortrag des Anschlussinhabers: „Es ist dem Inhaber eines privaten Internetanschlusses nicht zumutbar, die Internetnutzung seines Ehegatten einer Dokumentation zu unterwerfen, um im gerichtlichen Verfahren seine täterschaftliche Haftung abwenden zu können“. Ob das auch gilt, wenn Art. 7 EU-Grundrechtecharta und Art. 6 Abs. 1 GG nicht einschlägig sind, z.B. im Falle einer WG, wollte und brauchte der BGH hier nicht zu beantworten. Gleichwohl meldet er Zweifel bzgl. einer solchen Aufzeichnungs- und Dokumentierungspflicht durch den Anschlussinhaber an.
Außerdem sei es unzumutbar, den Computer des Ehegatten nach Filesharing-Software zu durchsuchen (Rn. 26). Allerdings könne der Anschlussinhaber verpflichtet sein mitzuteilen, ob sich auf dem von ihm selbst genutzten Computer eine solche Software befinde.
Bewertung
Durch die Afterlife-Entscheidung erhält die sekundäre Darlegungslast ein paar dringend notwendige Konturen. Zu unterschiedlich waren die Anforderungen der Gerichte, was letztlich zu großer Unsicherheit führte. Die neuen Vorgaben des BGH werden Opfern von unberechtigten Abmahnungen ermuntern, sich zur Weht zu setzen. Es genügt, wenn sie potentielle Täter benennen. Über Nutzungszeiten oder -verhalten von Familienmitgliedern muss nichts mitgeteilt werden. Doch auch hinsichtlich anderer Fallkonstellationen scheint der BGH weitergehenden Nachforschungspflichten skeptisch gegenüber zu stehen. Zu begrüßen ist außerdem die Deutlichkeit des Urteils in vielen Punkten. Damit sollte zahlreichen Behauptungen, die man häufig in Abmahnschreiben liest, der Wind aus den Segeln genommen worden sein. (T. Hi.)
Das Sensationelle ist, dass die Tätervermutung des Anschlussinhabers sofort entfällt, wenn lediglich vorgetragen wird, der Anschluss konnte von anderen genutzt worden sein. Das dürfte das Ende der Abmahnindustrie darstellen.