Der Europäische Gerichtshof hat mit einer seiner jüngsten Entscheidungen im Urheberrecht für ordentlich Wirbel gesorgt: Die Ausschüttungspraxis deutscher Verwertungsgesellschaften wie der VG Wort ist hiernach vermutlich wenigstens teilweise europarechtswidrig. Inwiefern und warum?
Dazu lohnt es sich, zunächst einen Blick auf die Grundzüge des Urheberrechts zu werfen: Urheber haben das ausschließliche Recht, ihr Werk zu verwerten. Sie dürfen also etwa entscheiden, wer das Werk zu welchem Preis vervielfältigen, verbreiten oder öffentlich zugänglich machen darf. Damit dies nicht zu Lasten der Allgemeinheit geht, schränkt das Urheberrechtsgesetz die Rechte der Urheber durch sogenannte Schrankenregelungen ein. Gewisse Nutzungen sind hiernach ohne Zustimmung des Urhebers zulässig. So erlaubt das Gesetz beispielsweise, bestimmte Vervielfältigungen zum eigenen Gebrauch anzufertigen – etwa Privatkopien.
Auch wenn Urheber den Nutzern ihrer Werke somit nicht verbieten können, diese Vervielfältigungen anzufertigen, sollen sie aber nicht auf eine Vergütung verzichten müssen. Da praktisch nicht nachvollzogen werden kann, wer wie oft Werke zum eigenen Gebrauch kopiert, hat der Gesetzgeber ein pauschales Ausgleichssystem geschaffen: Hersteller und Händler von Vervielfältigungsgeräten, etwa einem Drucker, und Speichermedien, z.B. einem USB-Stick, führen bei jedem Verkauf einen pauschalen Betrag an Verwertungsgesellschaften ab. Die Verwertungsgesellschaften schütten diese Beträge als Tantiemen aus – bislang sowohl an Urheber als auch an Verlage.
Mit der Ausschüttung an die Verlage ist so nun wahrscheinlich Schluss. Am 12. November 2015 hat der EuGH (C-572/13) klargestellt: Vergütungen für Kopien zum eigenen Gebrauch stehen den Urhebern zu, nicht den Verlagen.
Hintergrund des Urteils war ein Streit zwischen der belgischen Tochter des Drucker-Herstellers Hewlett-Packard und der belgischen Verwertungsgesellschaft Reprobel. Hewlett-Packard wollte gerichtlich überprüfen lassen, ob er für seine Drucker überhaupt eine Vergütung schuldet und wenn ja, ob die nach dem belgischen Gesetz fällige (pauschale und anteilige) Vergütung zu hoch ist. Der Appellationshof in Brüssel legte dem EuGH das Verfahren zur Vorabentscheidung vor.
Grundlage für die Entscheidung des EuGH war die sogenannte InfoSoc-Richtlinie (2001/29/EG). Gem. Art. 5 Abs. 2 Buchst. a und b können Mitgliedsstaaten Schrankenbestimmungen erlassen, die Kopien zum eigenen Gebrauch erlauben. Wenn sich die Staaten dafür entscheiden, müssen sie im Gegenzug dafür sorgen, „dass die Rechtsinhaber einen gerechten Ausgleich erhalten“. Wer aber ist ein solcher „Rechtsinhaber“ – nur ein Urheber oder auch ein Verlag?
Das Gericht urteilte: Nach Art. 2 sind nur Urheber Inhaber des Vervielfältigungsrechts. Verlage können sich von Urhebern lediglich Rechte einräumen lassen, sind also höchstens abgeleitete Rechtsinhaber. Nationale Regelungen, die Vergütungen nicht den Urhebern, sondern den Verlagen gewähren, sind daher europarechtswidrig. Verlage dürfen keine Kopiervergütung erhalten, wenn die Urheber nicht zumindest indirekt in deren Genuss kommen.
Diese Entscheidung wird sich wohl auch auf die Praxis deutscher Verwertungsgesellschaften auswirken. Der Bundesgerichtshof hatte ein Verfahren zwischen der VG Wort und dem Autor und Urheberrechtler Martin Vogel ausgesetzt, um das Reprobel-Urteil des EuGH abzuwarten. Bei seiner Entscheidung wird sich der Bundesgerichtshof nun an die Vorgaben des EuGH halten müssen.
Deutsche Verlage reagierten dann auch in Windeseile auf die Entscheidung aus Luxemburg. Der Börsenverein des deutschen Buchhandels übte harsche Kritik und bewertete die Entscheidung des EuGH als „höchst problematisch“. Seit dem 19. Jahrhundert sei es geltendes Recht, dass die Ausschüttungen von Verwertungsgesellschaften zwischen Verlagen und Autoren aufgeteilt würden; auch die Verlage müssten für ihre Leistungen honoriert werden. Matthias Ulmer, Vorsitzender des Verleger-Ausschusses des Börsenvereins, sieht die EU-Kommission nun in der Pflicht, umgehend tätig zu werden, damit die bestehende Aufteilungspraxis beibehalten werden könne. Andernfalls seien die Verlage gezwungen, ihre Kalkulation in jeder Beziehung anzupassen damit stünden auch die Autorenvergütungen auf dem Spiel.
Reimer Ochs vom S. Fischer Verlag spitzt das Problem wie folgt zu: „Die Verlage sind in der absurden Situation, dass ihr gesundes Geschäftsmodell allein durch die rechtlichen Rahmenbedingungen Stück für Stück zerbröselt wird.“
Cornelia Haß, die Bundesvorsitzende der Deutschen Journalisten-Union (DJU), warnt hingegen vor voreiligen Schlussfolgerungen oder Panikmache. Unter Umständen habe das EuGH-Urteil gar keine Auswirkungen auf die Rechtslage in Deutschland. Die Praxis der Verwertungsgesellschaften in Deutschland und in Belgien unterscheide sich nämlich maßgeblich: Verteilungsschlüssel werden in Deutschland nicht per Gesetz festgelegt, sondern innerhalb der Verwertungsgesellschaften ausgehandelt.
Trotzdem: Die VG Wort und die VG Bild-Kunst haben im Nachgang zum Urteil beschlossen, die Ausschüttungen an Verlage zu stoppen, bis der BGH in der Sache Vogel geurteilt hat. Zudem haben sie Maßnahmen ergriffen, um ihre Rückzahlungsansprüche gegen Verlage vor einer Verjährung zu sichern.
Wie wird sich das Urteil des EuGH auf das Vergütungssystem in Deutschland auswirken? Müssen sich Verwertungsgesellschaften wie die VG Wort dauerhaft umstrukturieren? Welche Bedeutung hat die Entscheidung für das Verhältnis zwischen Urheber und Verleger? Viele Fragen sind offen. Vor allem bleibt abzuwarten, ob sich der Gesetzgeber in Berlin oder Brüssel dazu entscheiden wird, die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu verändern. (S.Se.)
Spannendes Thema und super Artikel! 🙂