Die Netzwerke sollen (es) richten: Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz

Seit einiger Zeit herrscht in der Öffentlichkeit eine rege Debatte über Hassrede in sozialen Netzwerken und die gesellschaftlichen Folgen, die damit einhergehen. Ein wirkungsvolleres Eindämmen von „hate speech“ und strafbaren Falschmeldungen im Netz war daher das Ziel des neuen Gesetzesentwurfs, den Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) am 14. März diesen Jahres vorstellte: er kündigte das Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, kurz NetzDG, an.

Inzwischen, gut drei Monate später, ist das Gesetz in erster Lesung im Bundestag verhandelt worden und soll noch diesen Freitag verabschiedet werden. Trotzdem wurde es in den vergangenen Wochen in der Öffentlichkeit immer wieder kritisiert. Woran liegt das?

Was bezweckt das NetzDG?

Soziale Netzwerke wie YouTube oder Facebook hatten sich in den letzten Jahren Selbstverpflichtungen auferlegt, um strafbare Inhalte besser auffinden und löschen zu können. Aus Sicht des BMJV ist diese eigenständige Arbeit aber nicht ausreichend. Daher will das Gesetz den Druck auf soziale Netzwerke erhöhen und sie stärker in die Pflicht nehmen.

Wie ist die Rechtslage bis jetzt?

Derzeit sind soziale Netzwerke für fremde Inhalte erst einmal nicht verantwortlich. Wird ein Beitrag gemeldet, erlangt das Netzwerk also Kenntnis von einem rechtswidrigen Beitrag, muss es diesen entfernen. Tut es das nicht, haftet es.

Was soll sich also ändern?

Vom NetzDG betroffen sind ausschließlich soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter und Co. Für einfache Fälle sollen sie künftig 24 Stunden Zeit haben, um auf eine Meldung eines Rechtsverstoßes zu reagieren. Bei komplizierteren Fällen sind sieben Tagen vorgesehen. Verstößt der gerügte Beitrag gegen geltendes Recht, muss ihn das soziale Netzwerk entfernen. Kommt es der Pflicht nicht rechtzeitig nach, können Bußgelder zwischen 50.000 und 50 Millionen Euro fällig werden.

Das NetzDG nennt rund 20 Straftatbestände, für die dieses Vorgehen gelten soll. Darunter befinden sich Delikte wie Beleidigung (§ 185 StGB), Volksverhetzung (§ 130 StGB) oder Verunglimpfung des Bundespräsidenten (§ 90 StGB). Diese Straftatbestände selbst sollen unverändert bleiben.

Aus großer Macht folgt große Verantwortung: Facebook als Richter?

Ein Blick auf die immensen Nutzerzahlen von YouTube oder Facebook zeigt den großen Einfluss, den diese Plattformen haben. Er bringt auch Verantwortung mit sich. Trotz seiner Globalität und Geschwindigkeit darf das Internet kein rechtsfreier Raum sein. Strafrechtlich relevante Inhalte müssen auch online geahndet werden – organisiert jemand etwa eine öffentliche Demonstration mit dem Ziel, einen bestimmten Politiker zu diffamieren, bleibt das schließlich auch nicht ohne Konsequenzen.

Doch wer soll kontrollieren? Entscheiden die Rechtsabteilungen privater Konzerne über die Rechtmäßigkeit von Beiträgen, treten sie in die Rolle eines Richters. Das kann zu beträchtlichen Einschränkungen der Meinungsfreiheit führen. Befürchtet wird ein „Overblocking“: Läuft ein soziales Netzwerk Gefahr, Millionenbeträge zahlen zu müssen, wenn es einen rechtswidrigen Beitrag nicht löscht, wird es sicherheitshalber eher zu viel als zu wenig löschen.

Der Grat zwischen illegaler Schmähkritik und zulässiger Meinungsäußerung kann sehr schmal sein. Selbst für Richter ist diese Abgrenzung bisweilen extrem kompliziert. Genau deshalb darf der Staat diese Pflicht nicht an Privatunternehmen delegieren – umso mehr, da in den letzten Jahren zunehmende Liberalisierungen im Äußerungsrecht zu beobachten waren.

Die Reaktionen: Scharfe Kritik aus der Öffentlichkeit

Vor diesem Hintergrund äußerten Politiker, Journalisten- und Wirtschaftsverbände, der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages und sogar Europarat und der UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit massive Kritik. Sie erklärten das Gesetz für verfassungs- und europarechtswidrig. Kritisiert wird unter anderem, dass durch das NetzDG Straftatbestände unterschiedlicher Schwere und Schutzrichtung gleich behandelt werden.

Hinzu kommt: Eine Meinungsäußerung zu beurteilen ist oft noch komplexer, als auch der Kontext zu beachten ist, in dem sie abgegeben wurde. Diesen vollständig nachzuvollziehen und so die richtige Entscheidung zu treffen dürfte den Internet-Plattformen zusätzlich schwer fallen.

Als Reaktion auf die Kritik auch aus den eigenen Reihen hatte die Bundesregierung den Entwurf bereits zweimal abgeändert. Die 7-Tages-Frist wurde gelockert, Bußgelder sollen nun erst bei systematischem Versagen der Netzwerke verhängt werden. Versäumt das Netzwerk in Einzelfällen, Beiträge zu entfernen, ist dies nicht automatisch mit einem systematischen Versagen gleichzusetzen.

Bewertung

Die Forderung nach einer besseren Rechtsdurchsetzung ist durchaus berechtigt. Allerdings bleibt die Frage, ob der Meinungsfreiheit nicht mehr hätte Rechnung getragen werden können. Auffallend ist zum Beispiel: Das NetzDG sieht keine Möglichkeit vor, dass Inhalte wieder freigeschaltet werden, wenn sie sich als rechtmäßig herausstellen. Obwohl der Entwurf keine Änderung des materiellen Rechts vorsieht, könnte es am Ende genau dazu kommen – wenn durch die Angst vor Bußgeldern mehr Inhalte gelöscht werden als nötig, werden rechtmäßige Beiträge wie rechtswidrige behandelt. Auf den Plattformen verschwinden dann Beiträge, die eigentlich erlaubt wären. So verschiebt sich faktisch die Grenze zwischen Recht und Unrecht.

Medien wie SpiegelOnline sehen sich seit einiger Zeit immer öfter dazu gezwungen, die Kommentarfunktion ihrer Plattformen zu sperren. Wer auf Facebook Kommentare unter Zeitungsartikeln liest, findet dort häufig Äußerungen, die von einer Auseinandersetzung in der Sache weit entfernt sind. Besonders in sozialen Netzwerken kann man daher den Eindruck bekommen, dass der Umgangston rauer geworden ist. Eventuell geht es dem NetzDG daher auch um die Förderung einer zivilen Debattenkultur. Das mag zwar sozial wünschenswert sein – ob es allerdings Aufgabe des Gesetzgebers ist, eine solche Kultur mit Hilfe von Bußgeldandrohungen herbeizuführen, ist zweifelhaft.

Nun stehen zweite und dritte Lesung des NetzDG für diesen Freitag auf der Tagesordnung des Bundestags. Mehr Zeit verbleibt nicht, um das Gesetz zu beschließen. Denn danach verabschiedet der Bundestag sich in die Sommerpause. Wenn diese vorbei ist, findet die Bundestagswahl statt. Wegen des Diskontinuitätsprinzips müsste das Gesetzgebungsverfahren danach wieder von vorne beginnen. Der straffe Zeitplan ist wohl auch darauf zurückzuführen, dass die SPD so kurz vor den Wahlen das Scheitern eines Gesetzes vermeiden wollte, hinter das sich ihr eigener Minister so sehr gestellt hatte. Fatal wäre es jedoch, wenn die Meinungsfreiheit solch taktischen Überlegungen zum Opfer fiele.

Charlotte Petrasch

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