Berlin soll die IT-Hauptstadt Europas werden. Passend dazu fand der diesjährige Nationale IT-Gipfel in Berlin statt. Regierungsmitglieder präsentierten in sechs Foren und einer Keynote das Digitalisierungsvorhaben der Bundesregierung und diskutierten dieses mit Wirtschaftsvertretern sowie Experten der Zivilgesellschaft. Im ersten Forum stellten Bundeswirtschaftsminister Siegmar Gabriel und der Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, Alexander Dobrindt, die notwendigen Schritte für die sogenannte „vierte industrielle Revolution“ und die „digitale Offensive“ vor. Ziel ist es, auf europäischer Ebene im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie Wachstumsland Nr. 1 zu werden. Dazu sollen mit dem Vorhaben PAiCE vor allem digitale Technologien im industriellen Mittelstand gefördert werden. Kleine und mittlere Unternehmen verfügen oft nicht über eine Digitalstrategie und die dafür notwendigen finanziellen Mittel. Die Unterstützung der digitalen Transformation des industriellen Mittelstands ist daher eine besonders wichtige Aufgabe.
Zu den Herausforderungen des digitalen Wandels zählt auch der Bereich der intelligenten Mobilität. Der Fortschritt zeigt sich hier beispielsweise bei der Teststrecke für autonomes Fahren auf der A9. Auf dieser soll neuerdings über Assistenzsysteme hinaus auch das vollautonome Fahren getestet werden. Für 2020 sind dann die ersten öffentlichen dynamischen Busse ohne Fahrer geplant. Sie fahren keine statischen Routen, sondern berechnen aus – per „GPS Tracking App“ – gesammelten Informationen die zu befahrenden Haltestellen.
Zu den Grundvoraussetzungen des digitalen Wandels gehört außerdem die Schaffung einer angemessenen Kommunikationsinfrastruktur. Entscheidende Schritte auf dem Weg zur „Gigabit-Gesellschaft“ sind der für 2018 geplante bundesweite Breitbandausbau auf 50 MBit/s und die Einführung des 5G-Standard. Der 5G-Standard ermöglicht die Übertragung von signifikant höheren Datenmengen als bislang innerhalb kürzester Zeit. Damit will Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem US-amerikanischen und dem asiatischen Markt stärken.
Mit dem technischen Fortschritt unweigerlich verbunden ist die Frage nach einer entsprechenden IT-Sicherheitsstruktur. Es verwundert daher nicht, dass Bundesinnenminister De Maizière und Frank Rieger vom Chaos Computer Club (CCC) sowie weitere Experten im vierten Forum intensiv über IT-Sicherheit im Zuge des digitalen Wandels diskutierten: Wie kann die Wirtschaft ihre Geschäftsdaten ausreichend sichern? Wie schafft man gesellschaftliches Vertrauen in IT-Sicherheit? Wo sind derzeit deutliche Sicherheitsdefizite zu vermerken? Dies waren nur einige der drängenden Fragen, mit denen sich die Redner beschäftigten.
Rieger wies darauf hin, dass schon beim jetzigen Stand der IT-Sicherheitsstruktur erhebliche Sicherheitslücken bestünden. Als Beispiel nannte er über iPads gesteuerte robotische Systeme, die einem jederzeit „um die Ohren fliegen“ könnten. Genauere Ausführungen dazu, was er damit konkret meinte, blieben dem Zuhörer leider verwehrt. Deutlich wurde jedoch die Warnung davor, einen schnellen digitalen Wandel zulasten der IT-Sicherheit zu forcieren.
De Maizère griff das Thema der „digitalen Sorglosigkeit“ von Nutzern und Herstellern auf. Zur Verbesserung der IT-Sicherheit müsse auch aus rechtlicher Perspektive konsequenter vorgegangen und beispielsweise der Bereich der Produkthaftung gestärkt werden. Rieger wies darauf hin, dass die IT-Sicherheit bereits in der Ausbildung einen größeren Stellenwert genießen müsse. Das Erlernen eines „Sicheren Programmierens“ gehöre verpflichtend auf den Lehrplan. Nur so könne schlechte Software frühzeitig aus der Industrie verbannt werden.
Klar ist: Die Bundesregierung will, dass Deutschland in Sachen IT-Sicherheit weltweit vorne mitspielt. Gleichzeitig soll sich Deutschland aber auch zu einer Gigabit-Gesellschaft entwickeln. Mit diesen beiden Zielen wird unsere Gesellschaft nicht zuletzt im Hinblick auf den Umgang mit persönlichen Daten vor große Herausforderungen gestellt.
Gabriel plädierte für ein neues Datenschutzverständnis im Sinne einer größeren Datensouveränität. „Datenminimierung als oberstes Ziel des Datenschutzes ist ja so ungefähr das Gegenteil des Geschäftsmodells von Big Data“. Es sei vielmehr ein selbstbestimmterer Umgang der Nutzer mit ihren persönlichen Daten notwendig. Gabriel bemängelte dabei auch die unzureichende Verankerung von Möglichkeiten der „Pseudonymisierung“ und „Anonymisierung“ in der geplanten Datenschutz-Grundverordnung. Lässt sich in solchen Aussagen eine Bereitschaft erkennen, das Grundprinzip der Datensparsamkeit nach § 3a des Bundesdatenschutzgesetzes hinter die Interessen der Industrie (4.0) zu stellen? Kann das Prinzip der Datensparsamkeit im Hinblick auf die Ziele des digitalen Wandels überhaupt unverändert aufrechterhalten bleiben? Oder müssen wir unsere Ansprüche an „Sicherheit, Schutz und Vertrauen“ reduzieren, damit Deutschland und letztlich die gesamte EU wettbewerbsfähig bleiben? Zeigt nicht ein Blick auf die amerikanische Wirtschaft, insbesondere des Silicon Valley, dass Wettbewerbsfähigkeit nur zulasten von IT-Sicherheit möglich ist?
Es bleibt abzuwarten, ob Politik, Wirtschaft und Gesellschaft den Zielen einer “Gigabit-Gesellschaft” bei gleichzeitig hohem Sicherheitsstandard tatsächlich gerecht werden können. Aus Sicht des Verfassers sind in den beiden Foren des IT-Gipfels noch viele Fragen nach der konkreten Umsetzung des Vorhabens offen geblieben. Die Zukunftsprognose lässt sich jedenfalls schwer stellen: Wird Deutschland der digitale Wandel gelingen, und kann die IT-Sicherheit dafür den entscheidenden Beitrag leisten, oder wird diese zum Stolperstein im Rennen um eine Spitzenposition in der Industrie 4.0? (M. Kr.)