Weit über 500.000 illegale Downloads innerhalb der ersten 24 Stunden nach Veröffentlichung: Diese stattliche Zahl soll das neuste Album des US-Rappers Kanye West “The Life of Pablo” verzeichnen. Das wäre vermutlich Rekord. Könnte man des Problems nicht dadurch Herr werden, dass Nutzer die einschlägigen Seiten, auf denen das Werk rechtswidrig zum Download bereitgehalten wird, nicht mehr aufrufen könnten? Rechteinhaber versuchen das derzeit durchzusetzen: Sie gehen gerichtlich gegen sog. Zugangsdiensteanbieter (Access-Provider) wie die Deutsche Telekom vor und wollen sie verpflichten, ausgewählte Seiten zu sperren.
Ist das rechtlich zulässiger Schutz von geistigem Eigentum oder unerlaubte Zensur des Internets? Darüber hat der BGH im vergangenen November in zwei Verfahren entschieden. Die Urteilsgründe (Az. I ZR 174/14 und I ZR 3/14) liegen inzwischen im Volltext vor.
Die Verfahren
Kläger waren in dem einen Verfahren die Verwertungsgesellschaft GEMA und in dem anderen mehrere bekannte Tonträgerhersteller. Sie klagten gegen die Deutsche Telekom bzw. Telefónica Deutschland. Der Vorwurf: Die Beklagten gewähren den Nutzern Zugang zum Internet und ermöglichen ihnen dadurch, Websites mit urheberrechtswidrigem Inhalt anzusteuern. Konkret ging es um die Seiten 3dl.am und goldesel.to. Vorausgegangene Versuche, gegen die Betreiber der Webseiten und Server vorzugehen, waren erfolglos.
Haftung als Störer
Hinsichtlich der illegal hochgeladenen Musik sah der BGH die Beklagten weder als Täter noch als Teilnehmer dieser Rechtsverletzung an. Möglich blieb damit nur noch eine Haftung als Störer nach § 1004 BGB analog, die der BGH ausgiebig diskutierte. Als Störer kann in Anspruch genommen werden, wer in irgendeiner Weise willentlich und adäquat-kausal zur Rechtsverletzung beiträgt und dabei seiner Prüfpflicht nicht nachkommt.
Die Rechtsverletzung erfolgte durch die Betreiber von 3dl.am und goldesel.to. Auf diesen Seiten wurden und werden Links bereitgestellt, über die urheberrechtlich geschützte Werke heruntergeladen werden können. Da die Deutsche Telekom und Telefónica Deutschland den Zugang zu diesen Webseiten ermöglichten, leisteten sie nach Ansicht des Gerichts einen kausalen Beitrag zu dieser Verletzung. Allerdings stelle die bloße Vermittlung des Internetzugangs ein Geschäftsmodell dar, das keine unmittelbare Gefahr für das Urheberrecht schaffe. Obendrein sei es gesellschaftlich erwünscht. Deshalb bestünden keine allgemeinen (vorsorglichen) Prüf- oder Nachforschungspflichten. Eine Prüfpflicht könne vielmehr erst dann entstehen, wenn der Access-Provider auf die konkrete Rechtsverletzung hingewiesen worden sei. Dies geschah hier in beiden Fällen durch anwaltliche Schreiben vor der Klageerhebung.
Ferner führte der BGH aus, die Prüfpflicht des Providers dürfe nicht unzumutbar sein und die daraus resultierenden Maßnahmen nicht ungerechtfertigt in die Grundrechte der Betroffenen eingreifen. Die Zumutbarkeit von Zugangssperren sei dabei immer eine Frage des Einzelfalls, bei dem zwischen den Grundrechten aller Beteiligten abzuwägen sei. Hierzu zählten die Berufsfreiheit und die unternehmerische Freiheit des Providers, der Eigentumsschutz des Urhebers sowie die Informationsfreiheit und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Nutzer. Dabei scheitere die Zumutbarkeitsprüfung laut BGH weder daran, dass eine Sperrung nicht hundertprozentig effektiv sei, noch, dass sie auch legale Inhalte erfassen könne. Entscheidend sei, dass bei der gesperrten Webseite nach dem Gesamtverhältnis „rechtmäßige gegenüber rechtswidrigen Inhalten nicht ins Gewicht fallen.“ Aufgrund des besonderen Dreiecksverhältnisses der Grundrechtsträger sei eine Sperrung aber nur das letzte Mittel.
Subsidiäre Haftung des Providers
In diesem Zusammenhang stellt der BGH zum ersten Mal fest: Sowohl der Betreiber der Webseite als auch des Servers sind vorrangig in Anspruch zu nehmen. Erst wenn dies erfolglos bleibt oder keinerlei Erfolg verspricht, kann der Zugangsvermittler als Störer haften. Dabei müssen die Rechteinhaber zumutbare Maßnahmen ergreifen. Mit der Feststellung, dem Webauftritt könne die Identität des Betreibers nicht entnommen werden, oder eine bei der Domainregistrierung hinterlegte Postadresse sei falsch, dürfe der Rechteinhaber sich nicht zufriedengeben. Stattdessen muten die Richter ihm zum Beispiel zu, einen Detektiv oder ein spezialisiertes Unternehmen zu beauftragen, die Identität des Rechtsverletzers zu ermitteln. Das hatten die Kläger in beiden Fällen nicht getan. Darum scheiterten ihre Klagen letztlich.
Zusammenfassung
Access-Provider können grundsätzlich verpflichtet werden, Websites zu sperren. Allerdings müssen die Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden. Ferner kommt ihre Haftung als letztes Mittel erst dann in Betracht, wenn der Betreiber der Website sowie der Host-Provider trotz zumutbarer Anstrengungen des Rechteinhabers nicht in Anspruch genommen werden können.
Kritik
Die Informatikerin und ehrenamtliche Sprecherin des Chaos Computer Clubs (CCC) Constanze Kurz betonte unmittelbar nach Urteilsverkündung, dass Netzsperren einfach zu umgehen und damit untauglich seien. Aus diesen Gründen habe auch der Gesetzgeber das sog. Zugangserschwerungsgesetz nach langer Diskussion wieder aufgehoben.
Thomas Stadler, Fachanwalt für IT-Recht und Gewerblichen Rechtsschutz, lehnt das Urteil ebenfalls ab. Der BGH habe nicht hinreichend hinterfragt, ob der Access-Provider tatsächlich einen adäquat kausalen Beitrag zu der Urheberrechtsverletzung geleistet habe. Das Hochladen auf einen Webserver und der spätere Abruf durch einen Nutzer seien getrennt voneinander zu betrachten. Ersteres sei die eigentliche Urheberrechtsverletzung. Dazu würden Zugangsdiensteanbieter aber nichts beitragen. Beim Abruf sei dies zwar anders, jedoch stelle sich hier die Frage, ob überhaupt eine Urheberrechtsverletzung vorliege. Dies werde überwiegend verneint.
Zudem stellt Stadler infrage, ob die durch das Urteil begründete subsidiäre Inanspruchnahme des Providers zum Institut der Störerhaftung passe. Bisher stünde es Rechteinhabern grundsätzlich frei zu entscheiden, gegen wen sie rechtliche Schritte einleiten wollten. Der Störer haftete damit unabhängig von Täter und Teilnehmer.
Rechtsanwalt Ansgar Koreng spricht das Problem des sog. Overblockings an: Von der Sperrung würden in aller Regel auch legale Inhalte erfasst. Dies sei im Hinblick auf die Informationsfreiheit der Nutzer problematisch. Bei Twitter oder Facebook etwa befänden sich neben legalen auch viele illegale Inhalte. Dennoch würde hier niemand auf die Idee kommen, diese Plattformen zu sperren. Koreng weist ferner auf praktische Probleme hin. Ob der Content legal oder illegal ist, sei eine Wertungsfrage. Von außen könne man diese teilweise nicht ohne Weiteres beantworten, da beispielsweise nicht ersichtlich sei, ob der Rechteinhaber eine Lizenz erteilt habe.
Fazit
Der BGH bejaht erstmalig eine Sperrpflicht von Access-Providern, sieht diese aber nur als letztes Mittel an. Viele Fragen sind hier noch offen, etwa die, welches Verhältnis von legalen und illegalen Inhalten auf einer Webseite bestehen muss, damit eine Sperrung (noch) zumutbar ist. Es bleibt somit abzuwarten, ob und inwiefern der BGH die Voraussetzungen künftig konkretisieren wird. Noch können Nutzer Downloadlinks auf „goldesel.to“ finden und damit weiterhin das Album von Kanye West herunterladen. Mit den vorliegenden Entscheidungen könnte sich dies aber schon bald ändern. (D. Sh.)