Auf den letzten Metern wurde es noch einmal spannend um das Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz (kurz: UhrWissG). Ob es das Gesetz zur Abstimmung schaffen würde, war bis Dienstag ungewiss. Zu verhärtet schienen die Fronten. Die Kernstreitpunkte sind die Frage um einen Vorrang von Verlagsangeboten (den es nun nicht mehr geben wird) und die der Vergütung. An und für sich der „Klassiker“ im Urheberrecht: die Interessen der Nutzer stehen den Interessen der Rechteinhaber gegenüber. Eine absurde Wendung nahm die Diskussion zum UrhWissG allerdings, als die Presseverlage, von dem Gesetz nur peripher betroffen, sich in die Diskussion einmischten. Gestern, am letzten Sitzungstag des Bundestages in dieser Legislaturperiode, wurde das UhrWissG mit den Stimmen der Großen Koalition in kleinem Kreise angenommen. Die vorangegangene Debatte machte jedoch deutlich, dass, obgleich wir nun etwas Ruhe genießen können, der nächste Sturm nicht lange auf sich warten lassen wird.
Eigentlich fairer Interessenausgleich – eigentlich
Im Januar 2017 hatte das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz einen Referentenentwurf zum UrhWissG vorgelegt. Der Entwurf trübte die Gemüter all jener, die sich für eine Allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke eingesetzt hatten und war teils scharfer Kritik ausgesetzt. Im Ergebnis fand sich jedoch ein Konsens darüber, dass der Entwurf wohl überlegt und fachlich gut ausgearbeitet sei. Stark umstritten bleibt wiederum die Frage, ob das UrhWissG einen fairen Ausgleich zwischen Urheber-, Nutzer- und Rechteinhaberinteressen schafft.
Eine Interessengruppe sticht aus der Diskussion besonders hervor: die Presseverleger. Interessant daran ist, dass sie von dem Gesetz eigentlich nicht betroffen sind – vor allem nicht in ihrem Kernmarkt. Nichtdestotrotz hat die Bundesregierung ihnen gut zugehört, und auch der Rechtsausschuss konnte am Ende die lautesten Schreie wohl nicht mehr überhören. Zu groß war der Druck aus der Öffentlichkeit, die über Wochen hinweg mit Schlagworten wie „Enteignung“ und „Gefährdung der Pressefreiheit“ überhäuft wurde. Dadurch hat der wohlüberlegte Referentenentwurf, der auch von der Bundesregierung in großen Teilen unverändert gelassen wurde, zwei auf den ersten Blick kleine, aber bei genauerer Betrachtung signifikante, Hiebe einstecken müssen, die an der Sinnhaftigkeit des Ganzen zweifeln lassen.
Skurrile Änderungen in den Ausschüssen
Der wohlüberlegte Referentenentwurf, der auch von der Bundesregierung in großen Teilen unverändert gelassen wurde, hat in den Ausschüssen in letzter Minute durch sagenhafte Kompromisse zwie Änderungen erfahren, die skurriler nicht sein könnten: Zum einen treten die Änderungen des UrhWissG befristet in Kraft. Zum anderen werden Artikel aus Zeitungen und Zeitschriften von den Schrankenregelungen ausgenommen.
Vorgesehen ist, dass die Bestimmungen für Wissenschaft und Bildung (§§ 60a-h UhrG nF) für fünf Jahre gelten. In der Zwischenzeit solle evaluiert werden, inwiefern die neuen Bestimmungen die Situation in Bildung und Forschung verbessern und ob die Interessen der Rechteinhaber unzumutbar eingeschränkt werden. Johanna Wanka (CDU) sagte in der Debatte im Bundestag heute, das sei „eine gute Zeit“. Auch Stefan Heck (CDU/CSU) hält diese Regelung für sinnvoll, denn das „UrhWissG [sei] nicht der Weisheit letzter Schluss.“ Die Opposition hält dem zu Recht entgegen, dass diese sunset clause zu Rechtsunsicherheit führe. Petra Sitte (DIE LINKE) wies außerdem darauf hin, dass man mit Befristungen im Urheberrecht in der Vergangenheit bereits schlechte Erfahrungen gemacht habe (man denke an das Hickhack um § 52a UrhG) und es unverständlich sei, wie ein solcher Fehler erneut begangen werden könne. Nach Ablauf der Fünf-Jahresfrist sind §§ 60a-h UrhG nF nicht mehr anwendbar. Und die alten Schranken leben nicht wieder auf – auch nicht für eine Übergangszeit. Kommt der Sturm also nicht in den nächsten paar Jahren, so ist er spätestens für 2023 gesetzlich angeordnet.
Über die Befristung kann man sich ärgern, über die zweite Änderung muss man sich empören. Zeitungs- und Zeitschriftenartikel werden nicht mehr von den Schrankenregelungen für Bildung und Forschung erfasst. Das heißt im Klartext: Ein Artikel aus der F.A.Z. zum UrhWissG darf beispielsweise nicht von einer Forscherin oder einer Schülerin, die einen Vortrag über „Desinformation im postfaktischen Zeitalter“ halten möchte, kopiert werden. Möchte ebendieser Mensch abends einem Freund davon erzählen, und bringt er zur Veranschaulichung eine Kopie des Artikels mit, dann greift die Schranke des § 53 UhrG, wonach Privatkopien erlaubt sind.
Die Forderung der Presseverlage, medienwirksam angeführt von der F.A.Z. und der BILD-Zeitung, hat den Ursprung in dem Irrglauben, das UrhWissG würde Verlage enteignen und ungerechtfertigt in die Pressefreiheit eingreifen. Dieser Irrglaube fußt auf Fehlvorstellungen, die ein Blick ins Urheberrechtsgesetz verhindert hätte. So ist man seitens der Presseverlage der Meinung, dass durch den § 60a Abs. 2 UrhG nF, der es erlaubt, „einzelne Beiträge aus Zeitungen und Zeitschriften“ vollständig für bestimmte gesetzlich normierte Zwecke (im Bereich Bildung und Forschung) zu nutzen, künftig Zeitungen der Markt genommen werde und Nutzer kostenfrei wild kopieren dürften – zu Lasten der Presseverlage.
Ob die Wissenschaftlerin oder die Schülerin, die Lehrperson oder die Studentin, die sich im Zuge ihrer Studien bzw. ihres Forschungs- oder Lehrauftrags einen Zeitungsartikel aus dem Feuilleton von 2015 kopieren, tatsächlich den Primärmarkt der Zeitungsverlage darstellt, darf an dieser Stelle angezweifelt werden. Die Nutzung von einzelnen Beiträgen aus Zeitungen und Zeitschriften im Bereich der Bildung und Forschung wird regelmäßig nicht in den Primärmarkt des Verlages eingreifen. Im Übrigen ist nach (noch) geltendem Recht (§ 52a Abs. 1 UrhG) die Nutzung von einzelnen Beiträgen aus Zeitungen und Zeitschriften für die wissenschaftliche Forschung bereits möglich. Anders als von der Presse dargestellt, hätte die Gesetzesänderung insoweit keine Veränderung gegenüber der aktuellen Rechtslage dargestellt.
Wissenschafts- und Informationsfreiheit dürfen nicht eingeschränkt werden
Die Presseverleger tun sich mit ihrer Ausnahme keinen Gefallen. Ohne Frage: Streitpunkte gibt es im UrhWissG zu Genüge. Sachliche Kritik ist angemessen und notwendig, um einen fairen Kompromiss zu erarbeiten. Wer jedoch mit Schlagworten wie Enteignung und Pressefreiheit um sich wirft, sollte fundierte Gründe vorbringen können, warum man der Meinung ist, diese verfassungsrechtlichen Garantien seien gefährdet. Andernfalls wird der Anschein erweckt, man wolle eine breite Öffentlichkeit durch gezielte Desinformation für die eigenen Ziele instrumentalisieren. Das kann nicht im Interesse der Presseverlage sein. Die nun in Recht gegossene Ausnahme ist ihrerseits verfassungsrechtlich bedenklich. Wie im obigen Beispiel dargestellt, drohen Einschränkungen der Wissenschafts- und Informationsfreiheit.
Das UrhWissG wird voraussichtlich im März 2018 in Kraft treten und einige Verbesserungen hervorbringen. Die langjährige Diskussion um das Urheberrecht in Bildung und Forschung ist damit aber längst nicht beendet. Ob auch für die Nutzer an den Universitäten, Schulen und anderen Bildungseinrichtungen jetzt „auch ohne Jurastudium klar [sein wird], was man darf oder nicht darf“, wie Marianne Schieder (SPD) heute sagte, bleibt abzuwarten. Zumindest werden sie sich weiterhin fragen müssen, warum das Urheberrecht im Alltag immer wieder zu Ergebnissen kommt, die, wenigstens in Details, unverständlich und grotesk sind. Und sie werden das neue Recht in dem Wissen anwenden, dass es womöglich nur für kurze Zeit bestand haben wird – keine gute Basis für langfristige Investitionen in neue Technologien.
(C.M.L.)