E-Books sind keine Bücher – zumindest steuerlich. Gleich in zwei Urteilen (C-479/13, C-502/13) hat der EuGH am 05.03.2015 entschieden, dass die Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf E-Books unzulässig ist. Der EuGH konkretisiert damit seine bisherige Rechtsprechung zur steuerlichen Behandlung von E-Books. Im September letzten Jahres hatten die Luxemburger Richter bereits entschieden, dass die EU-Mitgliedstaaten grundsätzlich unterschiedliche Steuersätze für gedruckte und elektronische Bücher, die auf physischen Trägermedien gespeichert sind, ansetzen dürfen (C-219/13).
Unterschiedliche Mehrwertsteuersätze für E-Books in der EU
In den meisten EU-Mitgliedstaaten gilt für E-Books anders als für gedruckte Bücher der volle Mehrwertsteuersatz. So auch in Deutschland: während für letztere nur 7 % Mehrwertsteuer anfallen, wird für E-Books momentan der reguläre Mehrwertsteuersatz von 19% berechnet. Frankreich und Luxemburg wählten demgegenüber einen Sonderweg. Zum 01.01.2012 führten beide Staaten einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz für E-Books ein. In Luxemburg lag dieser bei 3 %, in Frankreich zunächst bei 7 % – seit dem 01.01.2013 bei 5,5 %.
Wettbewerbsvorteil für Luxemburg und Frankreich
Die geringere Besteuerung von E-Books in Luxemburg und Frankreich stellte dort ansässige Anbieter gegenüber Anbietern in anderen Mitgliedstaaten besser. Bis Ende 2014 wurde beim Vertrieb von E-Books per Download der Mehrwertsteuersatz am Sitz des Leistenden angewandt (und nicht der Mehrwertsteuersatz am Ansässigkeitsort des Kunden wie seit dem 01.01.2015). Insbesondere große Online-Händler wie Amazon und Apple machten sich diesen Umstand zu Nutze und vertrieben ihre E-Books über Niederlassungen in Luxemburg in andere europäische Staaten. So profitierten sie von einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz, während die Händler in den Importstaaten dem regulären Steuersatz unterlagen.
Position der Europäischen Kommission
Nach Auffassung der Europäischen Kommission verstießen die ermäßigten Mehrwertsteuersätze für E-Books gegen die Verpflichtungen beider Staaten aus der Mehrwertsteuerrichtlinie RL 2006/112/EG. Bereits im Juni 2012 leitete sie ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Frankreich und Luxemburg ein. Beide Staaten weigerten sich jedoch den reduzierten Mehrwertsteuersatz wieder anzuheben, woraufhin die Europäische Kommission im Februar 2015 Vertragsverletzungsklagen gegen beide Mitgliedsstaaten erhob.
EuGH: Kein ermäßigter Mehrwertsteuersatz nach geltendem EU-Recht
Der EuGH erklärte in seinen beiden Urteilen die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf E-Books für unvereinbar mit europäischem Recht. Ihre Begründung stützen die Richter vor allem auf zwei Argumente:
Die Mitgliedstaaten dürften ermäßigte Steuersätze nach der Mehrwertsteuerrichtlinie nur für die Lieferung solcher Gegenstände und Dienstleistungen festsetzen, die ausdrücklich in Anhang III der Richtlinie aufgelistet werden. Zwar sei in Nr. 6 des Anhangs sogar die Rede von der „Lieferung von Büchern auf jeglichen physischen Trägern“. Nach Ansicht des Gerichtshofs sind E-Books hiervon jedoch nicht umfasst. Elektronische Bücher bräuchten zwar einen physischen Träger, beispielsweise einen E-Book-Reader, um gelesen zu werden; nicht jede Lieferung eines elektronischen Buchs umfasse aber auch die Lieferung eines physischen Trägers. Damit steht der Anwendung der Steuerermäßigungsvorschriften nach Ansicht des Gerichtshofs bereits der klare Wortlaut des Anhang III entgegen.
Bei dem Vertrieb elektronischer Bücher handele es sich zudem aus steuerrechtlicher Sicht nicht um eine Lieferung, sondern um eine Dienstleistung. Der Buchinhalt werde dem Erwerber nur als Datei zur Verfügung gestellt, nicht zwingend aber auch ein körperlicher Gegenstand übergeben. Die Luxemburger Richter betonten, dass die Mehrwertsteuerrichtlinie die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf „elektronisch erbrachte Dienstleistungen“ ausdrücklich ausschließe. Damit erteilt der EuGH der Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf elektronische Bücher eine klare Absage.
E-Books als Kulturgut zweiter Klasse
Das Urteil ist dogmatisch nachvollziehbar, aus rechts- und kulturpolitischer Sicht allerdings fragwürdig. Sinn und Zweck des ermäßigten Steuersatzes für Bücher sind die Förderung des Buches als Kulturgut und Teil der kollektiven Bildung. Dass diese Funktion nicht nur gedruckte Bücher übernehmen können, sondern auch E-Books, liegt auf der Hand – kommt es doch auf den Inhalt der Bücher an und nicht deren konkrete äußere Form. Dank antiquierter EU-Vorschriften werden E-Books aber weiterhin schlechter gestellt.
Ausdehnung des Mehrwertsteuerprivilegs auf gedruckte Bücher?
Abhilfe kann nach den beiden jüngeren Urteilen nur eine Änderung der Mehrwertsteuerrichtlinie schaffen. Hierfür setzen sich in unmittelbarer Reaktion auf die Urteile nicht nur die europäischen Interessenverbände der Buchbranche ein. Auch die deutsche Staatsministerin für Kultur und Medien fordert in einer gemeinsamen Erklärung mit europäischen Kollegen die Europäische Kommission zum Handeln auf. Bereits im Koalitionsvertrag (S. 134) hatte sich die Bundesregierung dazu verpflichtet, auf europäischer Ebene auf einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz für E-Books hinzuwirken. Die Europäische Kommission hat mittlerweile angekündigt, im nächsten Jahr eine umfassende Mehrwertsteuerreform auf den Weg zu bringen, die auch die Besteuerung von elektronischen Büchern neu regeln soll. Da hierzu jedoch die Zustimmung aller Mitgliedsstaaten erforderlich ist, wird von einem langwierigen Verfahren auszugehen sein. E-Books werden also noch für einige Zeit keine Bücher sein – nicht, was ihren kulturellen Wert und das Nutzerverhalten angeht, aber steuerlich.
(K.H.)