Wer muss zahlen, wenn über einen Internetanschluss illegal Filme oder Musik heruntergeladen wurden? Zunächst wird in solchen Fällen mithilfe der IP-Adresse, von der aus die Urheberrechtsverletzung begangen wurde, der jeweilige Anschlussinhaber ermittelt. Aber Anschlussinhaber und Rechtsverletzer sind nicht notwendig identisch. Oftmals nutzen mehrere Personen einen WLAN-Router und transferieren Daten über ein und dieselbe IP-Adresse. Ermittelt werden kann allein der Anschlussinhaber – wer tatsächlich die Rechtsverletzung begangen hat, ist nicht feststellbar. Nach der BGH-Entscheidung „Sommer unseres Lebens“ besteht eine „tatsächliche Vermutung“, dass der Täter auch der Anschlussinhaber sei. Kann der Anschlussinhaber jedoch darlegen, dass die Rechtsverletzung ohne sein Wissen oder Zutun erfolgte, so haftet er nicht als Täter oder Teilnehmer.
In Frage kommt dennoch eine Haftung als Störer, die wiederum die Verletzung von Prüfungs- und Aufsichtspflichten voraussetzt. Der Umfang dieser Pflichten ist umstritten und reicht von Belehrungspflichten über die Einrichtung verschiedener Nutzerkonten und einer Firewall bis zu stichprobenartigen Kontrollen. In dem Fall eines 13-Jährigen, der ein illegales Filesharing Netzwerk genutzt hat, hat der BGH jüngst entschieden („Morpheus“-Entscheidung), dass, um der elterlichen Aufsichtspflicht zu genügen, bereits eine Belehrung über das Verbot an der Teilnahme illegaler Tauschbörsen genügt. Abschließend geklärt ist die Rechtslage mit dieser Entscheidung nicht, da sowohl eine schriftliche Urteilsbegründung noch nicht vorliegt, als auch andere Fragen, z.B. nach der Haftung für Rechtsverletzungen durch volljährige Familienmitglieder oder Mitbewohner einer Wohngemeinschaft offengeblieben sind. (J. S.)
Pro
Allein im Jahr 2008 musste die Unterhaltungsindustrie durch das Verbreiten ihrer Werke auf Filesharing-Plattformen laut Schätzungen einen Verlust von 1,2 Milliarden Euro hinnehmen. Diese enorme Summe verdeutlicht das Ausmaß des angerichteten Schadens und macht klar, dass Urheberrechtsverletzungen im Internet keine Bagatelldelikte sind und dass gegen die Verletzer vorgegangen werden muss.
Dazu ist es gängige Praxis mithilfe der IP-Adresse den Inhaber des Internetanschlusses zu ermitteln und ihn anschließend für die von seiner Adresse aus begangene Rechtsverletzung zur Rechenschaft zu ziehen. Um verstehen zu können, warum eine Haftung des Anschlussinhabers zu befürworten ist, muss genauer darauf eingegangen werden, wie die Rechtsprechung diese Fälle handhabt: Maßgeblich ist dafür insbesondere die Argumentation des BGH seiner Entscheidung „Sommer unseres Lebens“.
Im Grundsatz gilt zunächst immer die Vermutung, dass der Inhaber des Anschlusses auch der Täter ist. Der Anschlussinhaber kann aber der „sekundären Darlegungslast“ nachkommen und vortragen, dass eine andere Person die Rechtsverletzung begangen hat (vgl. OLG Köln MMR 2010, 44, 45). In den meisten Fällen, in denen tatsächlich nur ein Dritter die Rechtsverletzung begangen haben kann, wird ihm dieser Nachweis sehr leicht gelingen. Es ist beispielsweise schon ausreichend, nachzuweisen, dass man im fraglichen Zeitraum im Urlaub war.
Ist der Nachweis der Handlung eines Dritten nicht möglich, greift der Grundsatz der Störerhaftung. Als Störer kann bei der Verletzung absoluter Rechte auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wer – ohne Täter oder Teilnehmer zu sein – in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Verletzung des geschützten Rechts beiträgt. Die Haftung des Störers setzt die Verletzung von Prüfpflichten voraus.
Es leuchtet ein, dass der Betrieb eines nicht ausreichend gesicherten WLAN-Anschlusses adäquat kausal für die Urheberrechtsverletzungen ist, die unbekannte Dritte unter Nutzung dieses Anschlusses begehen. Deshalb muss auch ein privater Anschlussinhaber Prüfungspflichten nachkommen. Wenn er dies nicht tut, führt dies zu seiner Haftung als Störer. Auch einer Privatperson ist es möglich , angemessene technische Sicherungsmaßnahmen zu treffen. Zumal dem Nutzer hierfür mittlerweile von den Modem- und PC-Herstellern ausreichend verbraucherfreundliche Anleitungen gegeben werden. Und dies umso mehr, da der Anschlussinhaber auch ein eigenes Interesse hat, seine Daten vor dem Zugriff durch Dritte zu schützen.
Dabei berücksichtigt die Rechtsprechung ausdrücklich, dass nicht jeder Anschlussinhaber besonders technisch versiert ist und über umfassendes Wissen zur Anschlusssicherung verfügt. Sie nimmt deshalb an, dass die für den privaten Bereich marktüblichen Sicherungen vollkommen ausreichend sind. Dass das vom Hersteller voreingestellte Passwort diesen Anforderungen nicht genügen kann, leuchtet ein: Der Inhaber möchte, wie das Wort schon sagt, mit den Einstellungen etwas „sichern“ und dafür muss er zumindest dazu bereit sein, den kleinen Schritt zu tun und ein neues Passwort einzustellen.
Folglich sind die Prüfungspflichten, die dem Anschlussinhaber auferlegt werden, um einer Störerhaftung zu entgehen, sehr fair ausgestaltet. Dies wird vor allem dadurch deutlich, dass die zu treffenden Vorkehrungen ja nicht über das hinausgehen, was der Inhaber im reinen Eigeninteresse sowieso schon zum Schutz seiner Daten unternehmen sollte. Eine Rechtsverletzung durch Dritte beruht insofern immer auf einem Unterlassen des Anschlussinhabers. Da die Störerhaftung also nur in diesen Fällen greift, in denen der Anschlussinhaber eben nicht ausreichend sichert, ist sie absolut legitim und deshalb zu befürworten.
(H. M.)
Contra
Am vierten Januar um 9:10 Uhr und 57 Sekunden wurde ein Hooligan-Film in einer Internettauschbörse hochgeladen. Dafür stand eine alleinstehende, pflegebedürftige Rentnerin vor Gericht. Der Clou dabei: Sie selbst betreibt kein WLAN-Netzwerk. Sie besitzt nicht mal einen Computer. Trotzdem verurteilte das Gericht sie dazu, für Abmahnkosten in Höhe von rund 650 Euro aufzukommen. Denn die Tat wurde über ihren Internetanschluss begangen. Ist das gerecht? Für die meisten von uns wird das wohl kaum als sachgerechter Interessenausgleich erachtet werden können.
Um zu verstehen, was problematisch an einer weitgehenden Haftung ist, kann man sich zunächst folgendes vor Augen halten: Für Rechteinhaber spielt es bei der Durchsetzung eine nicht zu unterschätzende Rolle, an welche Personen sie sich tatsächlich richten können. Ein möglichst weiter Kreis von Personen ist für sie vorteilhaft. Wenn der eigentliche Täter nicht zu ermitteln oder zu belangen ist, liegt es auf der Hand, dass sie auf der Suche nach anderen sind, die sie für ihren Schaden verantwortlich machen können. Da mag es auf den ersten Blick naheliegen, den Anschlussinhaber belangen zu wollen. Durch seine Anmeldung beim Internetserviceprovider ist er sicher zu benennen. Dass man als Verletzter einen Zusammenhang zwischen ihm und dem Täter konstruieren will, liegt auf der Hand. Ansonsten liefen die Rechteinhaber Gefahr, auf ihrem Schaden sitzen zu bleiben. Dass sie dies verhindern möchten, ist verständlich. Allerdings geht die Haftung des Anschlussinhabers, wie sie momentan praktiziert wird, dabei in vielen Fällen weiter, als dies bei angemessener Berücksichtigung der Belange von normalen Nutzern zu rechtfertigen ist.
Wann genau wird es für den Anschlussinhaber brenzlig? Nehmen wir an, dass ein Dritter über seinen Anschluss eine Rechtsverletzung im Internet begeht:
In solchen Fällen ist er, so stellt der BGH es ausdrücklich fest, nicht als Täter zu behandeln. Was macht die Rechtsprechung jedoch? Sie geht im Grundsatz stets davon aus, dass der Anschlussinhaber auch der Täter ist. Dieser hat dann darzulegen, dass er nicht derjenige war, der gehandelt hat. Wie soll man nun aber darlegen, dass man, etwas nicht selbst getan hat? In sehr vielen Fällen wird dies einfach nicht möglich sein. Dann steht der Anschlussinhaber für den Schaden ein. Besonders problematisch: Die Vermutung steht auf recht wackligen Beinen. Sie sieht sich Kritik der Fachwelt ausgesetzt: Einem Anschluss kommt keine Identifikationsfunktion zu. Er ist kein eBay-Account oder Facebook-Konto, das nur von einer Person genutzt wird. Ein Anschluss erlaubt es auch anderen Personen den Internetzugang zu ermöglichen. Das erkennt auch der BGH in seiner Entscheidung „Sommer unseres Lebens“, ohne daraus aber die richtige Schlussfolgerung zu ziehen: Eine solche Vermutung der Täterschaft macht keinen Sinn. Denn: Wie soll man als gewöhnlicher Anschlussinhaber ohne weitgehende Technikexpertise zuverlässig in der Lage sein, eine solche Vermutung zu widerlegen und beweisen, dass ein anderer Nutzer handelte ohne dabei alle Mitnutzer einer vollständigen Überwachung zu unterziehen?
Aber selbst wenn diese komplizierte Widerlegung gelingen würde, hieße das noch nicht, dass man aus der Sache raus wäre. Immer noch käme eine Haftung als Störer (Hoeren/Sieber, Multimediarecht, Teil 18.2 Rn. 27 ff.) in Betracht, sofern Prüfungs- und Aufsichtspflichten missachtet wurden.
Wie sind diese ausgestaltet?
Ein Beispiel: Den Anschlussinhaber trifft die Pflicht, das WLAN-Netzwerk ausreichend zu sichern. Höchstinstanzlich werden strikte Anforderungen aufgestellt. Diese gehen so weit, dass selbst ein individuelles, aus 16 Ziffern bestehendes Passwort, das vorinstalliert eingestellt wurde dieser Pflicht nicht genügt. Ein solches Passwort ist nicht zu erraten, sondern nur zu „knacken“. Diese Erfordernis ist so streng, dass teilweise von Fachleuten gemutmaßt wurde, ob sie auf ein Missverständnis der Richter zurückzuführen sei (Nenninger NJW 2010, 2064). Zumindest aber wird sie als ergebnisorientiert und lebensfremd eingestuft.
Zum anderen können Instruktions- und Überwachungspflichten bestehen. Wie weit diese im Einzelnen gehen, ist umstritten: In seiner „Morpheus“-Entscheidung vom November des letzten Jahres hatte der BGH über eine solche Frage zu entscheiden. Für Eltern, die ihre minderjährigen Kinder darüber belehrt haben, dass die Nutzung von Tauschbörsen verboten sei, kommt eine Störerhaftung demnach im Normalfall nicht in Betracht. Das Urteil erntete in weiten Teilen der Bevölkerung Beifall. Das Gericht hat mit dem Urteil eine Präzedenzentscheidung getroffen, die auch als Zeichen gegen die Praxis einiger Gerichte, ausufernde Überwachungspflichten zu konstruieren, zu verstehen ist.
Wer die Frage nach der Haftung des Anschlussinhabers stellt, sollte sich immer die Konsequenzen einer solchen Haftung vor Augen halten. Constanze Kurz, ihres Zeichens Sprecherin des Chaos Computer Clubs, sprach sich im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung für mehr „digitale Gastfreundschaft“ aus. Um diese zu etablieren ist es notwendig, die Haftung des Anschlussinhabers zurückzuschrauben. Ufert sie aus, sät sie Misstrauen gegenüber Mitmenschen. Dann fördert sie Abgrenzung und den Drang, sein Umfeld zu überwachen. Sie verhindert altruistisches Verhalten. Nicht zuletzt wird durch die Haftung in jetzigem Ausmaß, der freie, einfache Zugang zum Netz verhindert. Maßnahmen von Politik und Gesetzgebung, die an anderer Stelle fördern und priviligieren, werden unterlaufen.
Ohne ein (falsches) Bild von der „bösen Contentmafia“ zeichnen zu wollen: Ist es möglich einen Anspruch gegen jemanden durchzusetzen, werden davon viele Gebrauch machen – ohne Rücksicht auf Verluste. Der Anschlussinhaber kann recht leicht ermittelt werden und ist damit ein „guter Anspruchsgegner“. Er ist in vielen Fällen aber eben nicht derjenige, der verantwortlich zu machen ist. Dies zu beweisen ist für ihn oftmals unmöglich. Dann bleibt er auf dem Schaden eines anderen sitzen. Einer Haftung des Anschlussinhabers muss deswegen kritisch gesehen werden. (M. Se.)
Zur aktuellen Entwicklung: http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/w-lan-stoererhaftung-regierung-will-gerichte-entscheiden-lassen-a-888435.html
http://www.internet-law.de/2013/03/bundesregierung-will-storerhaftung-fur-w-lans-nicht-gesetzlich-regeln.html
Zu einem neuen Urteil über die Haftung in Wohngemeinschaften und die Speicherung von Daten durch den ISP: http://www.lawblog.de/index.php/archives/2013/03/21/urteile-graben-massenabmahnern-das-wasser-ab/