Pro und Contra: Haftung für illegales Filesharing volljähriger Familienangehöriger?

Haftet der Inhaber eines Internetanschlusses für illegales Filesharing seines volljährigen Sohnes? Ja, lautete die Antwort bis Anfang dieses Jahres. Am 8. Januar 2014 hat der Bundesgerichtshof (BGH) jedoch entschieden, dass ein Anschlussinhaber nicht mehr für das Verhalten seiner volljährigen Familienangehörigen einstehen muss (I ZR 169/12 – BearShare).

Geklagt haben vier der führenden deutschen Tonträgerhersteller gegen ein Mitglied der polizeilichen Informations- und Kommunikationsgruppe für Onlinerecherche und Internetpiraterie. Sie machten geltend, dass über den Internetanschluss des Beklagten 3.749 urheberrechtlich geschützte Musikaufnahmen zum Download angeboten würden. Der Beklagte weigerte sich, die geforderten Abmahnkosten zu zahlen. Er könne nicht verantwortlich gemacht werden, da sein volljähriger Stiefsohn die Urheberrechtsverletzungen begangen habe.

Das OLG Köln verurteilte den Stiefvater auf Zahlung der Abmahnkosten und lies eine weitergehende Klage nicht zu. Er hafte als Störer, da er seine Prüfungs- und Aufsichtspflichten verletzt habe. Zwar hob das Bundesverfassungsgericht das Urteil auf, das OLG Köln verurteilte den Beklagten aber erneut. Erst der BGH hob das Urteil in der nun zugelassenen Revision auf und wies die Klage insgesamt ab. Im familiären Kreis sei der Anschlussinhaber nur bei konkretem Anlass angehalten, die anderen Nutzer zusätzlich zu belehren bzw. zu überwachen. Das Urteil nebst Begründung liegt noch nicht im Volltext vor (zur Pressemitteilung des BGH).

Das Urteil zeigt, dass immer noch viel Klärungs- und vor allem Aufklärungsbedarf hinsichtlich Abmahnungen und der Haftung für Urheberrechtsverletzungen im Internet besteht. Dies wird gerade in letzter Zeit auch am Falle der Redtube-Abmahnungen deutlich. (K.P.)

Pro

Warum ist das Urteil des BGH über die Haftungsbegrenzung des Anschlussinhabers bei Filesharing-Aktivitäten so wichtig? Am 9. Oktober 2013 ist das Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken, besser bekannt als „Anti-Abzock-Gesetz“, in Kraft getreten. Auf Seiten der Anschlussinhaber hofft man dadurch auf eine Begrenzung der oftmals horrenden Abmahnkosten wegen Urheberrechtsverletzungen. Doch auch nach Inkrafttreten des Gesetzes ist Vorsicht geboten: Zwar ist in § 97a Abs. 3 UrhG eine Begrenzung des Gegenstandswerts auf 1.000 € geregelt – diese gilt jedoch nicht ausnahmslos. Die Regelung gilt nur für Privatpersonen, die erstmals abgemahnt werden. Und auch in diesem Fall ist eine Ausnahme möglich, wenn der Betrag nach den besonderen Umständen des Falles als unbillig erscheint.
Zudem ist die Zahl der Abmahnungen laut den vorläufigen Hochrechnungen der Interessengemeinschaft gegen den Abmahnwahn (iggdaw) 2013 mit 165.554 im Vergleich zu 2012 um rund 50 % angestiegen. Wer unter welchen Voraussetzungen die Abmahnkosten für Urheberrechtsverletzungen zu tragen hat, ist also immer noch ein bedeutendes Thema. Deshalb ist es dringend erforderlich, die bisher strenge Haftung für Anschlussinhaber zu begrenzen.

Besonderes familiäres Vertrauensverhältnis

Nur weil man einen Internetanschluss angemeldet hat, kann das nicht bedeuten, automatisch für jede über diesen Anschluss getätigte Filesharing-Aktivität haften zu müssen. Eine Störerhaftung setzt unter anderem voraus, dass vom Anschlussinhaber Prüfungs- und Belehrungspflichten verletzt wurden. Aber: Diese Prüfungspflichten bestehen nicht anlasslos. Aus einer Entscheidung des LG Köln zu Filesharing in Wohngemeinschaften ging hervor, dass ohne konkrete Anhaltspunkte keine derartigen Pflichten bestünden. Eine anlasslose Belehrung sei gar eine Verletzung der Privatsphäre des Untermieters.

Dieser Grundsatz muss erst recht und verstärkt für die Anwendung auf den familiären Kreis gelten. Zwischen den Familienmitgliedern besteht ein besonderes Vertrauensverhältnis, das sogar grundgesetzlich nach Art. 6 Abs. 1 GG geschützt ist. Hiervon ist auch die Beziehung von Eltern zu ihren volljährigen Kindern umfasst. Deshalb erscheinen Belehrungs- und Prüfungspflichten für die Eltern ohne konkrete Hinweise auf ein rechtswidriges Verhalten des volljährigen Kindes als unzumutbar. Eine unbegründete Kontrolle könnte den häuslichen Frieden der familiären Gemeinschaft stören und für Rechtsunsicherheit sorgen. Ohne Vorliegen derartiger Pflichten sind die Voraussetzungen für eine Störerhaftung aber nicht gegeben.

Keine umfassende Kontrolle von Minderjährigen erforderlich

Der BGH hatte 2012 entschieden, dass Eltern ihren Belehrungspflichten gegenüber minderjährigen Kindern ausreichend nachkämen, wenn sie diese über das Verbot der Nutzung von Internettauschbörsen aufklärten. Lägen keine weiteren Anhaltspunkte vor, die auf Rechtsverletzungen des Minderjährigen über den Internetanschluss hindeuteten, bestünden auch keine Kontrollpflichten.

Wie kann von Eltern erwartet werden, ein volljähriges, reiferes Kind umfassender zu kontrollieren als ein minderjähriges Kind?

Mit 18 ist man alt genug, um es besser zu wissen!

Anders als bei minderjährigen, im Haushalt der Eltern lebenden Kindern gestaltet sich der Sachverhalt bei volljährigen. Mit Vollendung des 18. Lebensjahres erhält man zahlreiche neue Rechte. Aber: Es entstehen auch neue Verantwortungen! In diesem Alter besitzt ein durchschnittlich entwickelter Volljähriger die nötige Reife und Einsichtsfähigkeit, um die Folgen seines Handelns zu erfassen.

Daran ändert sich nichts, nur weil der Volljährige noch zu Hause lebt. Warum also die Eltern für die eigenverantwortlichen Handlungen eines anderen belangen?

Kein Grund zur Panik!

Befürchtungen über eine uferlose Ausweitung der Haftungsbegrenzung auf sämtliche Anschlussinhaber sind unbegründet. Die Eltern sollen nicht für die Filesharing-Aktivitäten ihres volljährigen Kindes haften, weil zwischen ihnen ein besonderes familiäres Vertrauensverhältnis besteht. Eine derart enge Verbundenheit lässt sich nicht ohne weiteres auf andere Konstellationen übertragen. Ohne weitere Änderungen der Rechtsprechung ist keine Ausweitung auf beispielsweise die Bewohner einer Wohngemeinschaft oder die Inhaber gewerblicher Anschlüsse zu erwarten. Hier ist weiterhin ein strengerer Maßstab für die zumutbaren Prüfungs- und Belehrungspflichten anzusetzen.

Die Haftungsbegrenzung wird erwartungsweise nur in einer geringen Anzahl von Fällen eingreifen. Die Gründe, die für die Begrenzung sprechen, sind aber mehr als gerechtfertigt. Es wurde höchste Zeit, die zuvor strenge Haftung aufzulockern. Deshalb ist die Entscheidung des BGH absolut zu befürworten. (R.R.)

Contra

Der Störerhaftung wird der Wind aus den Segeln genommen

Nach allgemeiner juristischer Auffassung ist ein Internetanschluss eine Gefahrenquelle, die Verkehrspflichten des Inhabers auslöst. Der Umfang der Pflichten des Anschlussinhabers ist grundsätzlich auf das begrenzt, was ihm an Sicherungsmaßnahmen zumutbar ist.

Wenn volljährige Familienangehörige den Internetanschluss ebenfalls nutzen, dann sind Belehrungen und Überwachung nach Ansicht des BGH nicht erforderlich. Der Internetanschluss werde aufgrund familiärer Verbundenheit und im Vertrauen auf die Eigenverantwortlichkeit eines Volljährigen überlassen. Der Anschlussinhaber müsse Maßnahmen erst ergreifen, sobald ein konkreter Anlass vorliegt, wonach der Internetanschluss für Rechtsverletzungen missbraucht worden sein könnte – etwa aufgrund einer Abmahnung.

Im Stadium einer Abmahnung ist die Urheberrechtsverletzung bereits eingetreten. Warum sollte man so lange warten und nicht präventiv gegen die Urheberrechtsverletzung vorgehen? Faktisch verlangt man von den Eltern, sich in rechtlich unsicheres Fahrwasser zu begeben.

Erst bei Abmahnung besteht Pflicht einzuschreiten

Liegt es nicht im Interesse sowohl des Anschlussinhabers als auch der Urheber und Rechteinhaber, dass es gar nicht erst zu illegalem Filesharing kommt? Und falls es doch dazu kommt, sollte dann nicht derjenige, der die Gefahrenquelle eröffnet hat, haften?
Nach allgemeiner Auffassung ist Störer derjenige, der in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Verletzung beigetragen und zumutbare Sicherungsmaßnahmen unterlassen hat.

Dass ein familiäres Vertrauensverhältnis die Zumutbarkeit weiterer Sicherungsmaßnahmen eliminiert, erscheint weder sachlich noch objektiv haltbar. Hier wäre eine allgemeine Regelung förderlich, um für Rechtssicherheit zu sorgen. Natürlich ist es eine sensible Fragestellung, inwiefern Eltern für ihre Kinder – volljährig oder minderjährig – haften. Jedoch sollte sich diese Frage nicht stellen. Vielmehr sollten die Akteure schlicht als Anschlussinhaber und -nutzer betrachtet werden, um die Störerhaftung nicht unnötig aufzuweichen. Eltern zu exkulpieren und die Störerhaftung weiterhin für Inhaber von Internetanschlüssen einzuschränken, erscheint nicht nur dogmatisch zweifelhaft, sondern führt auch für die Rechteinhaber zu unverhältnismäßigen Ergebnissen.

Wenig weitsichtiges Urteil

Das vom BGH entwickelte Konzept für die Verantwortlichkeit von Anschlussinhabern ist nicht restriktiv genug, um vor illegalem Filesharing abzuschrecken. Das Urteil trägt nicht dazu bei, das Unrechtsbewusstsein der Gesellschaft zu fördern.

Demjenigen, der seinen Anschluss Dritten – gleich welchen Alters – überlässt, sind Instruktions- und Prüfpflichten zumutbar. Denn ohne Belehrungs- und Kontrollpflichten haben Eltern wenig Anreiz, sich mit den Machenschaften ihrer Sprösslinge auseinander zu setzen. Zudem verringern Eltern die Wahrscheinlichkeit unangenehme Abmahnungen zu erhalten, wenn sie ihren Internetanschluss bewachen und die jeweiligen Nutzer kontrollieren.
Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser. (S.L.O.)

Das Blog ermöglicht den Studierenden, sich vertieft mit Einzelfragen des Internetrechts zu beschäftigen und ihre juristische Argumentationstechnik zu schulen, indem sie ausdrücklich die Interessen einer Seite vertreten. Die Beiträge geben daher nicht zwingend die persönliche Meinung ihrer Autorinnen und Autoren wieder.
Pro und Contra: Sind "Buy-Out"-Klauseln in AGB zulässig?
E-Mail nicht erhalten – und doch gebunden?

2 Kommentare zu “Pro und Contra: Haftung für illegales Filesharing volljähriger Familienangehöriger?

  1. Gem. § 310 Abs. 2 ZPO hängt ein Urteil nicht von einer Presseerklärung ab, sondern von der Verkündung in vollständiger Form. Gerade die Entscheidung: »BGH – Sommer unseres Lebens« hat doch gezeigt, dass man keine voreiligen Schlussfolgerungen vor Erscheinen des Volltextes ziehen sollte und darf.
    In diesem Sinne …

  2. @ Shual: Das ist hier keine Urteilsbesprechung. Es geht vielmehr darum, Argumente für und gegen die Haftung von Eltern in solchen Situationen zu formulieren. Gemeint ist, die Diskussion über die rechtliche Problematik anzuregen. Die Fakten und das Ergebnis des bestimmten Rechtsstreits wurden in der offiziellen Pressemitteilung zusammengefasst. Zwecks der Pro-und-Contra Diskussion darf man davon ausgehen, dass diese grundsätzlich mit der vollständigen Entscheidung übereinstimmen. Außerdem steht bereits in der Einleitung, dass die Texte sich lediglich auf die Pressemitteilung stützen. Also, im Sinne von Pro-und-Contra: Haben Sie auch eine Meinung dazu?       
     

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.