Das Sampling ist in vielen Musikgenres und besonders im Hip-Hop eine beliebte Technik. Dabei wird ein Ausschnitt aus einer bereits vorhandenen Tonaufnahme entnommen und in ein neues, eigenständiges Werk eingefügt. Die große Streitfrage lautet: Muss der Rechteinhaber des gesampelten Musikstücks vorher um Erlaubnis gefragt werden? Darüber hat jetzt der 1. Senat des BVerfG entschieden und gleichzeitig dem BGH widersprochen.
Diese Frage beschäftigt die deutschen Gerichte bereits seit über zwölf Jahren. Der Musikproduzent Moses Pelham (Moses P.) hatte für den Song „Nur mir“ von Sabrina Setlur eine zweisekündige Klangsequenz aus Kraftwerks „Metall auf Metall“ gesampelt. Diese läuft den ganzen Song über in einem Loop im Hintergrund. Dagegen gingen die Elektropioniere rechtlich vor, weil sie ihr Leistungsschutzrecht nach § 85 Abs. 1 Satz 1 UrhG an dem Ausschnitt verletzt sahen. Sie verlangten Schadensersatz, Unterlassung sowie Herausgabe der Tonträger, um sie vernichten zu können. Der BGH hat bereits zweimal (2008 und 2012) zu ihren Gunsten entschieden. Schließlich erhoben Setlur und Pelham Verfassungsbeschwerde.
Unstreitig schützt das Leistungsschutzrecht des Tonträgerherstellers nicht den Tonträger oder die Tonfolge selbst, sondern die getätigte wirtschaftliche, organisatorische und technische Leistung. Es gibt jedoch keinen Teil einer CD, für den nicht der gesamte Produktionsaufwand erforderlich war. Daher wird bereits in die ausschließlichen Rechte des Tonträgerherstellers eingegriffen, wenn kleinste Tonfetzen entnommen werden.
Das BVerfG hat jetzt allerdings entschieden, dass die Zivilgerichte die Kunstfreiheit gem. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht ausreichend berücksichtigt haben. Der BGH hatte zwar nicht ausgeschlossen, dass das Sampling eine freie Benutzung gem. § 24 Abs. 1 UrhG analog darstellt. Er stellt aber darauf ab, ob es „einem durchschnittlich ausgestatteten und befähigten Musikproduzenten […] möglich ist, eine eigene Tonaufnahme herzustellen, die dem Original […] gleichwertig ist.“ Wenn das der Fall sei, wäre es nicht erlaubt zu sampeln. Nur auf komplizierte Sounds fände § 24 Abs. 1 UrhG Anwendung. Einfache Sounds hingegen müsse man nachspielen.
Dem hat das BVerfG aber nun eine Absage erteilt. Die Zivilgerichte hätten die Kunstfreiheit gem. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht ausreichend berücksichtigt. Das Sampling stelle nur einen „geringfügigen Eingriff“ in das Leistungsschutzrecht des Tonträgerherstellers dar. Die vom BGH aufgestellten Anforderungen hingegen würden die künstlerische Betätigungsfreiheit erheblich beeinträchtigen. Hat das BVerfG damit diesen Rechtsstreit zufriedenstellend gelöst und die Interessen aller Beteiligten angemessen berücksichtigt?
Pro
Hip-Hop ist nicht mehr nur eine Jugendkultur, sondern längst im Mainstream angekommen. Unzählige Stile und Subgenre bieten für jedes Ohr den passenden Sound. Eines haben sie jedoch alle gemeinsam: Sampling ist ein integraler Bestandteil und nicht mehr wegzudenken. Die Musiker möchten so in einen künstlerischen Dialog mit den schon vorhandenen Songs treten und diese in einen aktuellen musikalischen Kontext setzen.
Keine Alternativen zum Sampling
Teile anderer Werke für diesen Dialog wiederverwenden zu dürfen, bedeutet für die Künstler eine Entfaltungsfreiheit, die anderweitig nicht gewährleistet werden kann.
Das Urheberrecht erlaubt mit § 24 UrhG, ein neues Werk „in freier Benutzung“ eines anderen, bereits vorhandenen Werkes zu schaffen. Dessen Rechteinhaber muss vorher nicht um Erlaubnis gefragt werden. Für Bildcollagen ist längst anerkannt, dass sie eine freie Benutzung der verwendeten Bilder darstellen. Warum das für Musikcollagen, bei denen noch viel weniger fremde Bestandteile verwendet werden, nicht gelten soll, ist nicht nachvollziehbar.
Manche wenden ein, der Künstler könne sich einfach um eine Lizenz bemühen. Das erfordert jedoch zunächst eine extrem aufwändige Recherche der Rechteinhaber. Ein zentrales Verzeichnis gibt es nicht. Um hier rechtssicher zu handeln, müssen Anwälte beauftragt werden. Das verursacht – neben der oft hohen Lizenzgebühr – zusätzliche Kosten. Außerdem wird vernachlässigt, dass der Tonträgerhersteller die Lizenz ohne Angabe von Gründen verweigern kann. Dadurch würde die kulturelle Fortentwicklung neuer Songs stark eingeschränkt. Nicht nur der Hip-Hop würde so seiner Seele beraubt. Auch in anderen Musikstilen wird immer häufiger gesampelt.
Andere behaupten, der benötigte Teil eines Songs könne einfach nachgespielt werden. Die Hip-Hop-Kultur lebt aber gerade von der Authentizität, die durch den direkten künstlerischen Dialog mit dem Originalsong entsteht. Diese kann nicht erreicht werden, wenn der entsprechende Teil selbstständig nachgespielt wird.
Schließlich kann nicht darauf abgestellt werden, ob es einfach oder schwer ist, den entsprechenden Teil selbständig nachzuspielen. Für diese Kategorien gibt es überhaupt keine rechtssicheren Maßstäbe. Hinzu kam, dass es laut BGH unerheblich war, wie aufwändig es ist, die Sequenz nachzuspielen. Angesichts der heutigen technischen Möglichkeiten würde ein Gutachter bei unbegrenzter Zeit wohl immer den Richter überzeugen können, eine „gleichwertige“ Aufnahme hergestellt zu haben. Die Rechtsprechung des BGH kam damit einem Samplingverbot gleich, was mit der Kunstfreiheit nicht zu vereinbaren ist. Insbesondere führte dessen System – entgegen jeder Denklogik – dazu, dass ein komplizierter Sound weniger geschützt ist, als ein einfacher. Das steht im Widerspruch zu dem erheblich höheren Zeit- sowie Kostenaufwand. Interessanterweise verwendet der BGH in seiner Entscheidung von 2012 (Rn. 40) an einer anderen Stelle das gleiche Argument. Dies ist nur ein Beispiel dafür, wie inkonsistent seine Begründung ist.
Der Rechtinhaber verliert nichts
Zu beachten ist ferner, dass der Tonträgerhersteller durch das Sampling keine finanziellen Verluste erleidet. Zwar bekommt er keinen neuen Lizenznehmer und somit keine Lizenzeinnahmen, aber sein eigener Umsatz wird auch nicht sinken: Die beiden Songs befinden sich in keinem Wettbewerbs- oder Konkurrenzverhältnis, sondern bestehen vielmehr eigenständig nebeneinander. Das neue Werk substituiert das alte nicht, es werden ja nur sehr kleine Teile übernommen. Der Tonträgerhersteller kann weiterhin durch den Verkauf seiner Songs Einnahmen generieren. Der für ihn geschaffene Investitionsschutz ist nicht gefährdet.
Darüber hinaus wird derjenige, der den neuen Song hört, sich oftmals an den gesampelten Song erinnern und dadurch zum Kauf angeregt. Der Umsatz mit dem älteren Stück wird sogar noch gefördert. Am Ende profitieren alle: die Tonträgerhersteller, die Musiker und die Hörer. Dem Sampling dürfen deshalb keine Steine in den Weg gelegt werden. Nur so bleibt Hip-Hop erhalten! (L. K.)
Contra
Große finanzielle Einbußen
Durch die Entscheidung des BVerfG wird den Tonträgerherstellern eine wichtige Verwertungsmöglichkeit entzogen. Auf zahlreichen Online-Datenbanken kann man Samples kaufen. Es existiert ein riesiger Markt. Samples haben einen nicht zu verachtenden Wert. Die Mitglieder von Kraftwerk trugen in der mündlichen Verhandlung vor, dass die Einnahmen aus der Samplelizenzierung inzwischen eine erhebliche Rolle spielten. Für Herrn Pelham war die Sequenz sogar so wertvoll, dass er einen ganzen Song damit hinterlegte. Und dafür soll der Tonträgerhersteller, der den ganzen Produktionsaufwand hatte, keine finanzielle Entschädigung erhalten? Häufig ist gerade der Beat bzw. der Sound das, was ein Musikstück maßgeblich prägt.
Rechtsunsicherheit ermöglicht dreiste Kopien
Durch die aktuelle Entscheidung werden Tonträgerhersteller in der Praxis nun deutlich schlechter geschützt. Notwendig mag zwar eine künstlerische Auseinandersetzung mit dem Ursprungswerk sein. Die wird aber jeder sampelnde Musiker stets behaupten. Dass es sich dabei in vielen Fällen schlicht um eine dreiste Kopie handelt, müssen jetzt die Tonträgerhersteller erst beweisen. Die Zivilgerichte der Republik werden es sich nach dieser Entscheidung des BVerfG aber mindestens dreimal überlegen, ob sie jemandem die künstlerische Auseinandersetzung absprechen. Das Kostenrisiko tragen allein die Tonträgerhersteller, die zusehen müssen, wie ihre Leistung rücksichtslos ausgeschlachtet wird.
Lizenzierung möglich
Dabei wäre es doch so einfach. Es müsste lediglich eine Lizenz eingeholt werden. Das geht schnell, schafft absolute Rechtssicherheit, verhindert damit kostenintensive Prozesse und der Tonträgerhersteller erhält eine kleine, angemessene Vergütung. Die Behauptung des BVerfG, Sampling als eigene Stilrichtung würde dadurch praktisch ausgerottet, stimmt schlichtweg nicht. Sampling ist ja nicht per se verboten. Auch in vielen anderen Fällen muss der Rechteinhaber vorher um Erlaubnis gefragt werden. Warum hier etwas anderes gelten soll, ist nicht ersichtlich.
So sind Streitfälle im Bereich des Sampling nach Aussage des Bundesverbandes Musikindustrie (der mehr als 80% des deutschen Musikmarktes vertritt) ohnehin äußerst selten sind. Normalerweise kommt es immer zu einer Einigung zwischen den Künstlern bzw. Produzenten – und das, bevor überhaupt gesampelt wird. Einigt man sich nicht, gibt es dann auch gute Gründe. So etwa, wenn der Tonträgerhersteller seine Leistung nicht in einem bestimmten Kontext sehen möchte.
Regelung des BGH als sinnvoller Ausgleich
Und selbst dann bleibt immer noch die Möglichkeit, die Klangfolge selbst einzuspielen. Das sollte im digitalen Zeitalter mit seinen Sounddatenbanken und Online-Mischpulten kein Problem mehr darstellen. Natürlich dauert das länger, als die Sequenz einfach zu kopieren. Doch auch der Tonträgerhersteller hat deutlich länger als fünf Minuten gebraucht, um sie zu erstellen. Der zeitliche Aufwand rechtfertigt es jedenfalls nicht, dessen Leistungsschutzrecht hier vollständig auszuhebeln.
Die ursprüngliche Regelung des BGH, die danach fragte, wie schwierig es ist, eine gleichwertige Aufnahme selbst herzustellen, war deshalb sinnvoll. Es ist nicht ersichtlich, warum jemand in fremdes Eigentum eingreifen darf, wenn er in der Lage ist, seine Kunstfreiheit auch ohne diesen Eingriff zu entfalten. Die Entwicklung des Kunstschaffens wird dadurch jedenfalls nicht beeinträchtigt. Lediglich wenn es nicht möglich ist, die Tonfolge selbst gleichwertig einzuspielen, darf in das Leistungsschutzrecht des Tonträgerherstellers eingegriffen werden, ohne ihn um Erlaubnis zu fragen. Mehr gibt die Kunstfreiheit in Abwägung mit der Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG nicht her. (J. R.)