Der Streit dreht sich um 17 sog. Reproduktionsfotografien, die von verschiedenen Gemälden aus dem Bestand der Museen angefertigt wurden. Der Hausfotograf der Museen hatte die Fotos 1992 für einen Sammelband angefertigt. 2006 lud ein Wikipedia-Nutzer diese Bilder in das freie Medienarchiv Wikimedia Commons, ohne zuvor eine Erlaubnis einzuholen. Kern des Streits ist, ob eine solche Erlaubnis erforderlich gewesen wäre.
Rechtliche Ausgangslage
Das Urheberrecht eines kreativen Schöpfers erlischt 70 Jahre nach dessen Tod. Diese Frist war für die fotografierten Gemälde bereits abgelaufen.
Fotos erfüllen regelmäßig gar nicht erst die Anforderungen an eine „persönliche geistige Schöpfung“, sodass sie urheberrechtlich nicht geschützt sind. Weil schöpferische und nichtschöpferische Fotografien in der Praxis nur schwer voneinander abzugrenzen sind, hat der Gesetzgeber gewährt das § 72 UrhG erlassen. Hiernach erhalten Fotografen für ihr „Lichtbild“ ein sogenanntes Leistungsschutzrecht. Die Anforderungen sind deutlich geringer, der Schutzumfang ist jedoch – mit Ausnahme der Schutzdauer – identisch. Wer eine Fotografie anfertigt, darf anderen etwa verbieten, diese im Internet hochzuladen.
Die Fronten
Wikimedia argumentiert mit dem abgelaufenen Urheberrechtsschutz der Gemälde. Weil das Gemälde nicht geschützt sei, könne auch an einer originalgetreuen Fotografie der Gemälde kein Schutzrecht entstehen. Die Museen hätten also gar keine Erlaubnis erteilen können.
Dem widersprechen die Reiss-Engelhorn-Museen; das Recht an der Fotografie könne trotz abgelaufenem Urheberrecht entstehen. Sie alleine dürften die Fotos wirtschaftlich verwerten.
Bereits seit einiger Zeit wird diskutiert, ob Reproduktionsfotografien geschützt sind oder nicht. Doch erst jetzt ist der Streit so weit hochgekocht, dass sich mit dem LG Berlin erstmals ein deutsches Gericht mit dieser Frage auseinandersetzen muss. Die Entscheidung könnte weitreichende Folgen haben. Im Kern stehen sich zwei wichtige Interessen gegenüber: Einerseits das Interesse an unbeschränktem digitalen Zugriff auf gemeinfreie Kulturgüter, andererseits das Interesse an einem Schutz aufwändig produzierter Fotografien. Welche Gründe sprechen dafür, solche Fotos zu schützen? Was spricht dagegen? (N. L.)
Pro
Das Urheberrecht schützt jeden Schnappschuss. Die Voraussetzungen, die an ein Lichtbild im Sinne des Gesetzes gestellt werden, sind gering: Ein Mindestmaß an persönlicher geistiger Leistung genügt. Damit wird sogar das spontan mit dem Smartphone geschossene Urlaubsbild geschützt.
Mehr als eine schlichte Kopie
Dieses erforderliche Mindestmaß fehlt zwar bei einer rein technischen Reproduktion, etwa durch ein Kopiergerät – aber eben auch nur hier. Befürworter des Standpunkts der Wikimedia verweisen oft auf die Rechtsprechung: Der BGH hat bereits klargestellt, dass bloße Lichtbildkopien aus dem Schutzbereich des § 72 UrhG herausgenommen werden müssen. So entstehe beispielsweise für Kopien von Fotos im Sinne einer rein technischen Vervielfältigung oder bei bloßer technische Reproduktionen einer Grafik kein Leistungsschutzrecht. Solche Fälle sind aber mit dem vorliegenden nicht vergleichbar.
Reproduktionsfotografien sind aufgrund des immensen Aufwandes und des komplizierten Verfahrens anders zu bewerten als eine einfache Kopie. Die Leistung des Reproduzierenden erschöpft sich hier nicht in der Durchführung eines banalen technischen Ablaufs – Auflegen und Knopf drücken. Es erfordert spezielle Fähigkeiten und eine zeitintensive Feinjustierung, die sich erheblich auf das Endprodukt auswirken: Ohne fundierte Fachkenntnisse eines professionellen Fotografen sind Verzerrungen, Reflexionen und Farbabweichungen kaum zu vermeiden. Die Gemälde müssen mit Tageslichtlampen gleichmäßig so ausgeleuchtet werden, dass keine Schatten oder Reflexionen entstehen. Um die Farbechtheit zu gewährleisten, ist es unerlässlich, mit Farbkeil und Beleuchtungsmesser zu arbeiten. Dabei müssen auch die Eigenarten des Bildes beachtet werden, beispielsweise Oberfläche und Pinselstruktur.
Die originalgetreue Fotografie historischer Gemälde übersteigt also das erforderliche Mindestmaß an persönlicher geistiger Leistung. Die Kunst der Reproduktionsfotografie liegt darin, eine Abbildung zu schaffen, die mit der unmittelbaren Wahrnehmung des Originals durch das menschliche Auge vergleichbar ist. Dies schlägt sich nicht zuletzt in den Kosten für einen entsprechend geschulten Fotografen nieder. Erscheint es nicht widersinnig, das spontane Selfie stärker zu schützen als eine solch aufwendige Fotografie eines historischen Gemäldes?
Klarer Wille des Gesetzgebers
Der abgelaufene Urheberrechtsschutz der Gemälde kann für eine Argumentation nicht fruchtbar gemacht werden. Die Leistungsschutzrechte sind zwar dem urheberrechtlichen Werkschutz in vielerlei Hinsicht inhaltlich gleichgestellt. Dennoch bestehen beide Rechte nach der gesetzlichen Konzeption völlig unabhängig voneinander. Der Gesetzgeber macht hier keinen Unterschied und hat mit § 72 UrhG eine eindeutige Regelung geschaffen.
Nicht nur die kreative Leistung wird geschützt
Wenig überzeugend sind zudem die Argumente der Gegenseite, die Gemeinfreiheit werde umgangen oder es würde gar eine Privatisierung öffentlicher Güter angestrebt. Die gemeinfreien Bilder selbst werden im Rahmen der Ausstellungen weiterhin öffentlich gezeigt. Die Reiss-Engelhorn-Museen erläutern in ihrer Stellungnahme ausführlich, dass sie sich in erster Linie ein Mitspracherecht bei der kommerziellen Verwertung der im Auftrag hergestellten Fotografien vorbehalten möchten. Es gehe nicht darum, Wissens- und Kulturvermittlung zu behindern. Vielmehr würden sie die Digitalisierung der Werke vorantreiben und dazu erhebliche Mittel aus dem oftmals ohnehin knappen Etat verwenden. Würde man ihnen versagen, Einnahmen durch solche Lizenzen zu erzielen, würden sich derartige Projekte nicht mehr rentieren und deswegen nicht realisiert werden.
Kein Grund für systemwidrige Einschränkungen
Anstatt die Bilder selbst hochzuladen, könnten freie Wissensdatenbanken ihre Seiten mit einem Link zu den digitalisierten Gemälden auf den Webseiten der Museen versehen. Möglicherweise würden die Museen auch nur für die gewerbliche Nutzung der Fotografien Lizenzgebühren verlangen. Die Reiss-Engelhorn-Museen sind sich nach eigenen Angaben ihrer Verantwortung bei der Wissensvermittlung durchaus bewusst. Absprachen, nach denen gemeinnützige Wissensdatenbanken und andere kulturelle Einrichtungen geringere oder keine Lizenzgebühren zahlen müssen, sind also durchaus denkbar. Ob die Museen das wollen und zu welchen Bedingungen, muss aber letztendlich ihnen selbst überlassen bleiben.
In jedem Fall sind hier Konzepte möglich, die den Interessen aller Beteiligten Rechnung tragen und nicht nur die gesetzliche Regelung beachten, sondern auch die Kulturvermittlung fördern. Eine systemwidrige Einschränkung würde demgegenüber berechtigte Einnahmen verhindern. Das kann keine gerechte Lösung sein. (M. B.)
Contra
Das Urheberrecht wird nur zeitlich begrenzt gewährt. Es endet siebzig Jahre nach dem Tod des Schöpfers. Werke sind nach Ablauf dieser Frist gemeinfrei und damit kulturelles Allgemeingut. Jeder soll nach dem Willen des Gesetzgebers nun die Möglichkeit haben, das Werk zu nutzen – das gilt auch für die Gemälde der Reiss-Engelhorn-Museen.
Fehlende Schutzvoraussetzungen
Eine Reproduktionsfotografie erfüllt nicht die Schutzvoraussetzungen eines Lichtbildes. Für den Schutz verlangt der BGH ein Mindestmaß an geistiger Leistung. Rein mechanische Lichtbildkopien oder das Abfotografieren von bereits vorhandenen Fotografien erfüllen diese Voraussetzung nicht. Ob ein Schutz für Reproduktionsfotografien zweidimensionaler Vorlagen besteht, ist bislang von der Rechtsprechung nicht geklärt, muss jedoch ebenfalls abgelehnt werden.
Die Eigentümer der Originalkunstwerke wollen sich dadurch, dass sie ihre Bestände abfotografieren lassen und das Gleiche anderen verbieten, die Verwertungsrechte trotz abgelaufenem Schutz sichern – für weitere 50 Jahre. Damit verlängern sie die vom Gesetzgeber vorgesehene Schutzdauer künstlich. Das widerspricht dem Grundsatz der Gemeinfreiheit – sie muss zum Wohle aller Vorrang haben. Deshalb findet § 72 UrhG keine Anwendung, wenn die Reproduktionsfotografie eine möglichst identische Abbildung des Originals ist. Denn dann gleicht sie eher einem Scan, der laut BGH nicht vom Schutz des § 72 UrhG erfasst ist. Das abgelaufene Urheberrecht verdrängt den Schutz des Lichtbildes.
Kulturförderung und Zweckentfremdung des Urheberrechts
Bei der Klage der Mannheimer Museen handelt es sich um einen Versuch, öffentliche Kunst zu privatisieren. Als öffentliches Gut sollen gemeinfreie Werke jedoch der Allgemeinheit zur Verfügung stehen. Niemand soll ausgeschlossen werden. Mit der fortschreitenden Entwicklung des Internets bieten sich hierfür viele neue Möglichkeiten.
Das freie Medienarchiv Wikimedia fördert den uneingeschränkten Zugang zu Kultur. Zu diesem Zweck arbeitet es mit zahlreichen der Allgemeinheit verpflichteten Einrichtungen wie Museen und Archiven zusammen. Wikimedia leistet damit der Gesellschaft einen großen Dienst: Wenn eine Person ein immaterielles Gut nutzt, können andere das gleiche Gut zur gleichen Zeit trotzdem nutzen. Immaterielle Güter sind nicht rivalisierend – das unterscheidet sie von körperlichen Gegenständen. Das kulturelle Leben profitiert von der freien Verwendbarkeit von Kultur, und das trägt zu einer offenen Gesellschaft bei.
Kulturelle Teilhabe kann viel mehr Menschen ermöglicht werden als noch vor einigen Jahren. In einer globalen Gesellschaft dürfen physische Distanzen oder finanzielle Hürden beim Zugang zu gemeinfreien Werken keine Rolle mehr spielen. Sinn und Zweck der Gemeinfreiheit ist es gerade, dass eine möglichst große Verbreitung und Benutzung stattfindet. Durch die Auseinandersetzung mit anderen Werken kann sich die Inspiration für Neues ergeben. Das kulturelle Erbe wird dadurch bereichert. Wikimedia leistet somit einen großen Beitrag für die Allgemeinheit. Legen wir ihr keine Steine in den Weg!
(C. R.)