Rekord-Entschädigung für Altkanzler Kohl

Wer das Leben, den Körper oder die Gesundheit eines anderen verletzt, muss den entstandenen Schaden ersetzen. Bei einer schweren Körperverletzung können bis zu 100.000 Euro fällig werden. Auch wer das Allgemeine Persönlichkeitsrecht (APR) eines Menschen verletzt, macht sich ersatzpflichtig. Das APR schützt Menschen vor Eingriffen in ihren Lebens- und Freiheitsbereich. Das Landesgericht Köln hat am 27. April 2017 entschieden, dass das Buch „Vermächtnis: Die Kohl-Protokolle“ das APR von Helmut Kohl schwer verletze. Deshalb sprach es dem ehemaligen Bundeskanzler eine Entschädigung in Höhe von einer Million Euro zu.

Wie kam es dazu?

Grundlage des Buches sind Gespräche zwischen Kohl und dem Kölner Autor Heribert Schwan. Schwan zeichnete die Gespräche mit dem 87-Jährigen auf Tonbändern auf. Er sollte daraus als Ghostwriter Kohls Memoiren verfassen.

Bevor der letzte Band der Memoiren erschien, zerstritten sich Kohl und Schwan. Schwan und ein Co-Autor schrieben daraufhin „Die Kohl-Protokolle“. Darin zitieren sie den Alt-Kanzler ohne dessen Erlaubnis. Das Problem dabei: Das Buch enthält nicht nur vertrauliche Details, sondern auch pikante Aussagen Kohls über andere Politiker, etwa Bundeskanzlerin Angela Merkel und frühere Bundespräsidenten. Kohl habe Politiker als „Schaumschläger“, „trottelhaft katholisches Subjekt“ und „Verräter“ bezeichnet. Das Buch wurde ein großer Erfolg – und Kohl klagte.

Was Kohl zuvor schon erreicht hatte

Kohl wollte das Buch verbieten lassen. Außerdem klagte er gegen Schwan, den Co-Autor und den Verlag auf Schadensersatz in Höhe von fünf Millionen Euro wegen Verletzung seines Persönlichkeitsrechts und auf Herausgabe der Tonbänder – Originale sowie etwaige Kopien.

Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren entschied das LG Köln im Jahr 2014: Schwan kann sich nicht auf die Meinungsfreiheit berufen. Als Ghostwriter hat er sich zur Verschwiegenheit über die ihm anvertrauten Informationen verpflichtet. Nur Kohl selbst darf entscheiden, welche Passagen veröffentlicht werden. 116 Stellen müssen aus dem Buch gestrichen werden. Kohl hat einen Anspruch gegen Schwan auf Herausgabe der originalen Tonbänder.

Die neue Entscheidung

Kohl verfolgte sein Begehren im Hauptsacheverfahren weiter. Das musste er, sonst wäre die einstweilige Entscheidung aufgehoben worden. Das LG Köln entschied nun auch in diesem Verfahren, dass das angegriffene Buch Kohls Persönlichkeitsrechte schwer verletzt. Dieser Teil der Entscheidung war erwartet worden. Aber: Die Höhe des Anspruchs überrascht. Vorher betrug der höchste Anspruch, den ein deutsches Gericht wegen Verletzung des APR durch unautorisierte Veröffentlichung zugesprochen hatte, 400.000 Euro. Noch ist die Entscheidung nicht rechtskräftig. Autoren und Verlag haben bereits Berufung angekündigt.

Eine schwierige Abwägung?

Sowohl die beträchtliche Höhe der Entschädigung als auch ihre Begründung werfen Fragen auf. Problematisch ist, dass sich Schwan gegenüber Kohl nicht schriftlich zur Verschwiegenheit verpflichtet hat. Schwan argumentiert, dass er nach Beendigung der Zusammenarbeit als Journalist frei über das Material verfügen durfte. Außerdem müsse es sich Kohl als Person öffentlichen Interesses gefallen lassen, dass seine Aussagen auch gegen seinen Willen veröffentlicht werden. Der Vorsitzende Richter erklärte bei der Urteilsverkündung, dass das Persönlichkeitsrecht Kohls schwerer wiege als das öffentliche Interesse. Damit solle es „eine spürbare Konsequenz“ geben. Dies war wohl nicht als Einschüchterung von Journalisten gemeint. Trotzdem stellt sich die Frage, wie Journalisten in Zukunft über nicht-öffentlich gemachte Äußerungen berichten sollen, wenn sie deswegen mit Klagen rechnen müssen. Geht man bei Kohl vom „Kanzler der Einheit“ aus und misst seinen Aussagen einen historischen Wert zu, wird man außerdem fragen können, ob ein Verbot der Verwertung solcher Gespräche die Geschichtsschreibung nicht unter einen Privatvorbehalt stellt.

T. B.

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