Die diesjährige Sommerkonferenz von Telemedicus wurde am 29. und 30. August unter dem Motto „Zwei Schritte vorwärts: Die Zukunft des Internetrechts“ in Berlin abgehalten. Als Partner wirkten die Hertie-Stiftung, das Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG), die Humboldt Law Clinic Internetrecht (HLCI) sowie das Internet & Gesellschaft Co:llaboratory unterstützend mit. Gesponsert wurde die Veranstaltung durch das Deutsche Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI), BridgehouseLaw, HÄRTING Rechtsanwälte, LEXEA Rechtsanwälte, Kommunikation & Recht sowie daily*interactive.
Zunächst begrüßte Adrain Schneider von Telemedicus die Teilnehmer der Veranstaltung und erläuterte deren Titel: Ziel sei es losgelöst von konkreten Gesetzesvorhaben über neue Konzepte und Ideen für die Zukunft des Internetrechts nachzudenken. Eben nicht nur einen, sondern zwei Schritte voraus.
Im ersten Vortrag stellte Dr. Till Kreutzer sein Gedankenexperiment zur Neuordnung des Urheberrechts vor. Ausgangspunkt der Überlegung war es, durch einen Tabula-rasa-Ansatz systematische Regelungskonzepte zu entwickeln, die den Anforderungen der digitalen Welt gerecht werden. Ein dazugehöriges Paper steht auf irights.info zum Abruf bereit. Der anschließende Vortrags von Dr. Simon Assion war mit „Ein Internetrecht der Dinge“ betitelt. Assion stellte mögliche Konfliktsituationen im Zusammenhang mit „smarten“ Geräten dar. Er erläuterte die relevanten Rechtspositionen, deren Anwendungsbereich und welche Probleme sich hier ergeben können.
Im Panel zum Datenschutz „nach dem Big Bang“ startete Prof. Dr. Tina Klüngel mit ihrer Zukunftsvision eines Datenschutzrechtes als Immaterialgüterrecht. Durch die Zuweisung wirtschaftlich verwertbarer Positionen, könne die Stellung des Datenschutzsubjekts gestärkt werden. Auch ein Ansatz für datenschutzrechtliche Verwertungsgesellschaften wurde skizziert.
Prof. Niko Härting beschäftigte sich mit dem Zweckbindungsgrundsatz. Er beleuchtete verfassungsrechtliche und einfachgesetzliche Vorgaben sowie die konkrete Anwendungspraxis. Härting betonte, dass es heutzutage dringend notwendig sei, sich von bestehenden Konzepten zu lösen, um Datenschutz zukunftsfähig zu machen.
Prof. Dr. Kai von Lewinski stellte unter dem Titel „Medienbruch und Sphärentheorie: Rückbesinnung auf Altbewährtes“ eine gestufte Strukturanalyse dar, in der verschiedene Konzepte des Datenschutzes dekonstruiert wurden. Unabhängig von der Notwendigkeit politischen Wertungsentscheidungen kann diese Ordnung als Grundlage für Debatten dienen, die auf einen größeren Kontext abzielen.
Eine Neuausrichtung des Datenschutzrechtes auf ethische Grundprinzipien der Datenverarbeitung und Diskriminierungsfreiheit zog Ninja Marnau in Erwägung. Dabei arbeitete sie zunächst heraus, welche Probleme das Datenschutzrecht aktuell nicht adressiert, und zeigte Anforderungen an Lösungsansätze auf. Das Panel schloss mit einer Diskussion, in der kritische Nachfragen zu den einzelnen Vorträgen beantwortet wurden, aber beispielsweise auch intensiv auf Themen wie Selbstverantwortung und Nutzererwartungen eingegangen wurde.
Im letzten Veranstaltungsblock am Samstag ging es um die Regulierung von und mit Standards. Agata Królikowski startete mit dem Thema „Grundrechtsschutz durch Technik“. Die Referentin setzte sich umfassend mit der Rolle des Nutzers auseinander und legte dar, welche Schritte für eine Verbesserung der Situation nötig sind. Eine Kapitulation des staatlichen Grundrechtsschutzes vor faktischen Bedrohungen wurde kritisch gesehen. Der Schutz müsse jedem offen stehen.
Prof. Dr. Leonard Dobusch beschäftigte sich mit Standards, indem er die Wirkung von Netzeffekten und ökonomische Hintergründe darstellte. Dobusch erläuterte, warum Standards oftmals nicht die Vorteile mit sich bringen, die sie auf den ersten Blick zu versprechen scheinen. Insbesondere seien Standards nicht unpolitisch. Der Vortrag wurde durch verschiedene Praxisbeispiele veranschaulicht.
Ninja Maranau und Rigo Wenning gaben in ihrem „Einblick in den Maschinenraum“ Einsichten in die Praxis der Standardsetzung. Dabei wurde insbesondere die Erfindung von „Do not track“ umfassend dargestellt, aber auch erklärt, warum im Zusammenhang mit dem Recht auf Vergessenwerden sinnvolle Standards aufgrund faktischer Interessen nicht implementiert werden. In der Diskussion kamen insbesondere Fragen um Legitimation, Wirksamkeit und die Rolle einzelner Akteure zur Sprache.
Am zweiten Veranstaltungstag sprach zunächst Hans Peter Dittler unter dem Titel „Rough Consensus & Running Code“ über die Organisation der Internet Engineering Task Force (IETF) und erläuterte die Prozesse der Standardsetzung in einem praxisnahen Vortrag. Gefolgt wurde er von Kirsten Gollatz, die zu Dynamiken und Legitimationsordnungen von Internet Governance referierte. Sie beleuchtete das komplexe Zusammenwirken zwischen Technik und Recht sowie die Rolle verschiedener Akteure. Dafür stellte sie aktuelle Entwicklungen dar und richtete einen kritischen Blick auf die Begründung von Legitimität. Die anschließende Diskussion knüpfte hieran an und legte einen besonderen Fokus auf das Verhältnis zwischen sozialen Bedürfnissen und technischen Rahmenbedingungen.
Der letzte Veranstaltungsabschnitt setzte sich mit dem Themenfeld „Robotik und Recht“ auseinander. Zunächst stellte Dr. Thomas Söbbing den Roboter als softwaregesteuerte, bewegliche und zum Teil autonome Maschine vor. Sein Vortrag verknüpfte Ausführungen zu ethischen, kulturellen und philosophischen Grundlagen mit Haftungsfragen, die aufgrund anstehender Entwicklungen Praxisrelevanz erlangen werden.
Daniel Schätzle beschäftigte sich unter dem Titel „Persönlicher Concierge“ mit smarten Assistenzsystemen als Entscheidungsersatz. Er skizzierte Auswirkungen von technischen Entwicklungen auf Prozesse der Entscheidungsfindung und zeigte auf, welche Herausforderungen sich in rechtlicher Hinsicht stellen. Auf dieser Grundlage betonte er die Bedeutung der Entscheidungsfindung für die freien Entfaltung der Persönlichkeit. In der Diskussion wurde unter anderem grundlegend in Frage gestellt, welche Konzepte im Lichte neuer technischer Gegebenheiten – nicht nur in rechtlicher Hinsicht – als tragfähig erachtet werden können.
Die Sommerkonferenz hatte es sich zum Ziel genommen, Querdenken zu ermöglichen und neuen Ideen Raum zu bieten. Diesem Anspruch konnte sie gerecht werden. Dabei hat sie den Spagat zwischen dem Beschreiten von konzeptionellem Neuland und der Anknüpfung an die Ist-Situation gekonnt gemeistert. Die Themenblöcke waren vielseitig und durchweg interessant. Debatten wurden kontrovers geführt. Bei der letztjährigen Sommerkonferenz hatte sich gezeigt, dass das bestehende (Internet-)Recht in vielen Bereichen grundsätzlich neuer Ausrichtung bedarf. Mit der diesjährigen Sommerkonferenz hat Telemedicus einen wichtigen Beitrag zu dieser großen Aufgabe geleistet.
Text: Michael Servatius, Teilnehmer der HLCI 2012/2013